Geowissen

Wikinger nutzten transparentes Mineral als Sonnenkompass

Doppelspat ermöglicht gradgenaue Bestimmung des Sonnenstands selbst bei Dämmerung

Der hier abgebildete Doppelspat ist eine transparente Form des Minerals Kalzit; die Wikinger nutzten seine besonderen optischen Eigenschaften wahrscheinlich als Sonnenkompass. © gemeinfrei

Der Legende nach hat den Wikingern ein „Sonnenstein“ bei der Navigation auf ihren weiten Seereisen geholfen. Jetzt hat ein internationales Forscherteam nachgewiesen, dass ein transparentes Mineral, die legendären Eigenschaften dieses Wikinger-Sonnensteins besitzt. Ein Stück dieses sogenannten Doppelspats könne es den Wikingern ermöglicht haben, selbst bei bedecktem Himmel und in der Dämmerung noch den Sonnenstand bis auf wenige Grad genau zu messen, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society A“.

Das Prinzip der Navigation mittels Sonnenstein beruht auf der besonderen optischen Eigenschaft des Doppelspats, wie die Forscher berichten. Fällt Sonnenlicht durch dieses transparente Mineral, wird es in zwei Strahlen aufgespalten. Je nachdem, wie das einfallende Licht ausgerichtet ist, verändert sich auch die Helligkeit der beiden resultierenden Strahlen.

Doppelspat-Sonnenfinder

Dieser Effekt lasse sich zur Suche der Sonnenposition ausnutzen, sagen Guy Ropars von der Université de Rennes in Frankreich und seine Kollegen. Richte man den Stein genau auf die Stelle am Himmel, an der die Sonne stehe, seien die beiden Strahlen genau gleich hell. Weiche man von dieser Richtung ab, werde der Strahl auf der sonnenabgewandten Seite dunkler als der andere. Der Helligkeitsunterschied wird dabei umso stärker, je weiter der Doppelspat gegenüber der Position der Sonne gekippt wird.

„Mit unserem Doppelspat-Sonnenfinder konnten wir die Position der Sonne auch bei wenig Licht bis auf etwa fünf Grad genau bestimmen“, schreiben die Forscher. Das menschliche Auge könne auch bei Dämmerung noch gut erkennen, ob die beiden Strahlen gleich oder unterschiedlich hell seien. Halte man eine lichtundurchlässige Blende mit einem kleinen Loch vor das Mineral, lasse sich diese Genauigkeit sogar auf rund ein Grad steigern.

„Das zeigt, dass solche Sonnensteine den Wikingern dabei geholfen haben könnten, auch ohne Magnetkompass von Norwegen bis nach Amerika zu navigieren“, sagen Ropars und seine Kollegen.

Navigation ohne Magnetkompass

Zur Zeit der Wikinger war der Magnetkompass in Europa noch nicht bekannt. Zur Navigation orientierten sich die Seefahrer daher vor allem an den Sternen oder dem Sonnenstand. Doch auf den Meeren der Arktis, auf denen die Wikinger vor rund 1.000 Jahren vorwiegend segelten, war der Himmel häufig bedeckt. Im Polarwinter stand die Sonne zudem meist knapp unter dem Horizont, sodass eine tiefe Dämmerung herrschte.

Dass die Wikinger in solchen Situationen einen Doppelspat zur Bestimmung des Sonnenstands genutzt haben könnten, war schon häufiger vermutet worden. Wie effektiv und genau das Mineral jedoch auch unter schlechten Lichtverhältnissen funktioniere, sei bisher umstritten gewesen, sagen Ropars und seine Kollegen. Im Rahmen ihrer Studie führten sie daher dazu mehrere Tests im Labor und unter freiem Himmel durch.

Sonnenkompass auch auf Kriegsschiffen späterer Zeiten noch im Einsatz

Die hohe Genauigkeit des Doppelspats als Sonnenkompass könnte auch erklären, warum Kriegsschiffe selbst im 16. Jahrhundert – lange nach Einführung des Magnetkompasses – noch einen Doppelspat an Bord hatten. Ein solches Mineralstück sei erst kürzlich auf einem 1592 gesunkenen Schiff vor der Küste der Kanalinsel Alderney gefunden worden, berichten die Forscher.

„Wir haben in Alderney festgestellt, dass selbst eine der dort ausgrabenen Schiffskanonen ausgereicht hätte, um die Orientierung des Magnetkompasses um 90 Grad zu stören“, schreiben die Forscher. Das Eisen der Kanonen habe den Kompass abgelenkt. Um Navigationsfehler auszuschließen, sei der Doppelspat daher wahrscheinlich selbst vier Jahrhunderte nach den Wikingern noch im Einsatz gewesen. (Proceedings of the Royal Society A, 2011; DOI: 10.1098/rspa.2011.0369)

(Proceedings of the Royal Society A / dapd, 02.11.2011 – NPO)

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