Knapp 11.000 Meter unter der Meeresoberfläche: Keine Stelle im Meer liegt weiter von Luft und Sonne entfernt als das Challengertief im pazifischen Marianengraben. Dunkelheit, Nährstoffarmut und extremer Druck machen es zu einem der extremsten und lebensfeindlichsten Orte der Erde – so dachte man bisher. Ein internationales Forscherteam hat nun erstmals vor Ort untersucht, was im Sediment der Tiefseerinne tatsächlich lebt und wurde überrascht. Im Boden des Challengertiefs leben sogar zehn Mal mehr Mikroben als in flacheren Tiefseegebieten, wie sie im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.
Obwohl moderne Tauchboote und Unterwasserroboter inzwischen schon in viele Regionen der Tiefsee vorgestoßen sind, gilt das Hadal, wie die unterhalb von 6.000 Metern Tiefe liegenden Regionen der Meere genannt werden, noch immer weitestgehend als Terra inkognita der Meeresforschung. Denn die extremen Bedingungen machen es selbst mit modernster Technik schwer, diesen Lebensraum genauer zu erforschen. Das Extrem unter diesen Extremen ist das Challengertief im Marianengraben. Knapp 11.000 Meter tief ist hier der Ozean. Auf den Grund dieser Tiefseerinne dringt kein Lichtstrahl, es ist stockdunkel, kalt und der Wasserdruck ist tödlich hoch: Auf jedem Quadratzentimeter lastet hier ein Gewicht von rund 1.125 Kilogramm. Überleben kann hier nur, wer speziell angepasst ist. Im Challengertief schaffen dies vor allem Mikroben und wirbellose Tiere.
Kommt überhaupt Nahrung in der Tiefe an?
„Unklar blieb jedoch, in welchem Maße die extremen hydrostatischen Drücke diese Organismen behindern“, erklären Ronnie Glud vom Nordic Centre for Earth Evolution im dänischen Odense und seine Kollegen. Und auch, wie viel Nahrung überhaupt noch in diese Tiefen gelange, sei bisher unbekannt. Denn die Hauptquelle organischer Nährstoffe in der Tiefsee ist das, was aus dem weit entfernten Oberflächenwasser hinabrieselt: Algenreste, vergammelnde Tierkadaver und Klumpen von Kot und abgestorbenen Einzellern. Schätzungen zufolge kommen von diesen Dingen maximal ein bis zwei Prozent auf normalen Tiefseeböden bis in 4.000 Meter Tiefe an. Wie viel Nährstoffe für die extremen Tiefen übrigbleiben, blieb bisher offen.
Glud und sein internationales Team haben diese Fragen nun vor Ort im Challengertief untersucht. Dafür schickten sie einen autonomen, speziell gegen den Druck abgeschirmten Analyseroboter bis in fast 11.000 Meter Tiefe. Dort arbeitete sich dieser millimeterweise in das Sediment hinein und maß bei jedem Stopp den Sauerstoffgehalt. Aus diesen Werten lässt sich ermitteln, wie hoch die Atmung und damit auch der Mikrobengehalt im Boden ist. Ein zweiter Tauchroboter entnahm mehrere bis zu 50 Zentimeter lange Sedimentbohrkerne und brachte sie in Isolierbehältern an die Oberfläche. An ihnen analysierten die Forscher den Gehalt an organischem Kohlenstoff, wie viele Reste von Algenpigmenten sich darin fanden und wie viele Mikrobenzellen. Alle Proben und Messungen führten sie zusätzlich an einer nur rund 6.000 Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Vergleichsstelle durch.
Wimmelnde Mikroben und reichlich Futter
Das Ergebnis war überraschend: In der vermeintlich so kargen Challengertiefe fanden die Forscher rund zehn Mal mehr Mikroben im Sediment als an der 5.000 Meter höher liegenden Vergleichsstelle. Die Rate der Sauerstoffzehrung – ein Maß für die Aktivität der Organismen – sei sogar doppelt so hoch gewesen, berichten sie. Und auch in punkto Nahrung waren die Bewohner dieses tiefsten marinen Lebensraums erstaunlich gut versorgt. Das Sediment enthielt deutlich mehr organischen Kohlenstoff und Reste von Algenzellen als das höher gelegene Tiefseegebiet. Da beide Stellen im gleichen Meeresgebiet liegen, sei es unwahrscheinlich, dass Unterschiede in der Lebenswelt der Oberfläche dafür verantwortlich sind, meinen die Forscher.
Um den Grund für den unerwarteten Nährstoffreichtum der Challengertiefe herauszufinden, analysierten Glud und seine Kollegen Blei-Isotope im Sediment beider Probenstellen. Deren Gehalt gibt Aufschluss darüber, wie viele Partikel aus höheren Wasserschichten in diese Tiefe absinken, da sie auf ihrem Weg Blei aus dem Wasser aufnehmen und auf dem Boden ablagern. Zwar legen die Partikel auch einen längeren Weg durch das Wasser zurück und enthalten daher von vornherein mehr Blei als bei flacheren Meeresstellen. „Aber selbst wenn wir das herausrechnen, liegen die Werte im Sediment des Challengertiefs noch doppelt so hoch“, sagen die Forscher. Das deute darauf hin, dass Tiefseerinnen wie der Marianengraben wie eine Art Sedimentfalle wirken: Strömungen und die Topografie des Meeresbodens sorgen offenbar dafür, dass absinkenden Nährstoffe sich in diesen Rinnen konzentrieren.
Die tiefsten Lebensräume des Ozeans sind demnach nicht nur belebter als gedacht, ihre Bewohner sind auch weitaus aktiver als man es ihnen zugetraut hätte. „Selbst unter diesen extremen hydrostatischen Bedingungen schaffen es diese mikrobiellen Gemeinschaften offensichtlich, effizient Stoffwechsel zu betreiben“, konstatieren Glud und seine Kollegen. Sie vermuten, dass dies nicht nur für das Challengertief gilt, sondern grundsätzlich für die Sedimente in solchen extremen Tiefseerinnen. (Nature Geoscience, 2013; doi: 10.1038/ngeo1773)
(Nature Geoscience, 18.03.2013 – NPO)