Max-Planck-Forscher haben einen wichtigen Puzzlestein in der Evolution des Menschen aufgedeckt: Wir haben alle ein „Stück“ Neandertaler in uns. Denn eine Analyse des Neandertaler-Genoms hat ergeben, dass sich der moderne und der Frühmensch vor einigen zehntausend Jahren doch vermischten.
Im Genom einiger heute lebender Menschen stammen nach Berechnungen der Forscher ein bis vier Prozent der DNA vom Neandertaler. „Diejenigen von uns, die außerhalb Afrikas leben, tragen ein kleines bisschen Neandertaler in sich“, sagt Svante Pääbo, der Leiter des Forscherteams vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig in der aktuellen Ausgabe von „Science“. Bei früheren Untersuchungen der DNA von Mitochondrien der Neandertaler hatte man für eine Vermischung keine Hinweise gefunden.
Es ist eine bisher einmalige wissenschaftliche Leistung: Fast zehn Jahre nach Entschlüsselung des Genoms des Homo sapiens präsentieren Forscher nun erstmals die Gensequenz eines ausgestorbenen Hominiden, der zudem der engste ausgestorbene Verwandte des Menschen ist. „Der Vergleich dieser beiden Gensequenzen gibt uns die Möglichkeit zu erfahren, wo wir uns in unserem Genom von unseren nächsten Verwandten unterscheiden“, erklärt Pääbo.
Eine Milliarde DNA-Fragmente untersucht
Die Version der Neandertaler-Sequenz basiert auf der Analyse von mehr als einer Milliarde DNA-Fragmente aus mehreren Neandertaler-Knochen aus Kroatien, Spanien, Russland und dem Neandertal in Deutschland. Unter den DNA-Fragmenten haben die Leipziger Forscher diejenigen identifiziert, die aus dem Neandertaler-Genom stammen und zusammen mehr als sechzig Prozent des Gesamtgenoms abdecken.
Ein erster Vergleich der beiden Sequenzen förderte nach Angaben der Forscher bereits erste aufregende Entdeckungen zutage. Anders als von vielen Forschern vermutet, haben sich Neandertaler und der frühe moderne Mensch offensichtlich vermischt. Für die Analyse sequenzierten die Forscher zusätzlich fünf menschliche Genome europäischer, asiatischer und afrikanischer Abstammung und verglichen diese mit dem Neandertaler-Genom.
Vermischung vor 50.000 bis 100.000 Jahren?
Die Überraschung: Der Neandertaler hat ein wenig mehr genetische Gemeinsamkeiten mit den Menschen außerhalb Afrikas als mit den Afrikanern. Zugleich ähnelt das Neandertaler-Genom der Sequenz von Europäern im gleichen Ausmaß wie der von Ostasiaten. Das verwundert, denn bis heute wurden keine Überreste von Neandertalern in Ostasien gefunden. Sie lebten in Europa und Westasien.
Die Forscher haben aber eine einleuchtende Erklärung für ihre Ergebnisse. Dazu Pääbo: „Neandertaler haben sich wahrscheinlich mit frühen modernen Menschen vermischt bevor Homo sapiens sich in Europa und Asien in verschiedene Gruppen aufspaltete.“ Dies war vor 50.000 bis 100.000 Jahren im Mittleren Osten möglich, noch bevor sich die menschliche Population über Eurasien ausbreitete. Aus archäologischen Funden weiß man, dass damals Neandertaler und Menschen dieselbe Region bewohnten.
Weitere Untersuchungen nötig
Abgesehen von der Frage, ob Neandertaler und Homo sapiens Sex miteinander hatten, gilt das Hauptinteresse der Forscher Genbereichen, die den Menschen von seinem nächsten Verwandten unterscheiden und ihm vielleicht Vorteile im Laufe der Evolution einbrachten.
Die Wissenschaftler haben bereits einige Regionen entdeckt, in denen sie Gene ausfindig machten, die möglicherweise eine wichtige Rolle in der menschlichen Evolution spielten. So fanden sie Gene, die mit kognitiven Funktionen, mit dem Stoffwechsel und mit der Entwicklung von Schädel, Schlüsselbein und Brustkorb zusammenhängen. Doch erst genauere Analysen werden nach Angaben von Pääbo & Co Rückschlüsse über den tatsächlichen Einfluss dieser Gene zulassen.
Den Großteil der DNA für ihre Untersuchung gewann das Forschungsteam aus insgesamt 400 Milligramm Knochenpulver aus Knochen dreier weiblicher Neandertaler, die in einer Höhle in Kroatien ausgegraben wurden und dort vor mehr als 38.000 Jahren lebten.
Problem: Verunreinigung
Das Genom einer vor Zehntausenden von Jahren ausgestorbenen Art zu sequenzieren ist eine ganz besondere Herausforderung, denn die DNA ist im Laufe der Zeit zu winzigen Fragmenten zerfallen und zum Teil chemisch verändert. Hinzu kommt das Problem der Verunreinigung.
„Mehr als 95 Prozent der DNA in einer Probe stammen von Bakterien und Mikroorganismen, die den Neandertaler nach seinem Tod besiedelten“, erklärt Pääbo. Auch menschliche DNA, die bei der Ausgrabung oder im Labor in die Probe gelangt, verfälscht die Ergebnisse. Pääbo und sein Team in Leipzig setzen verschiedene, zum Teil völlig neu entwickelte Techniken ein, um die zu sequenzierende DNA von Kontaminationen zu befreien. Sie bearbeiten die Proben in Reinsträumen und markieren jedes Sequenzstück eines Neandertalers mit einem kurzen Stück DNA als Etikett, um es von menschlicher DNA unterscheiden zu können.
Technische Herausforderungen im Griff
Die technischen Herausforderungen haben die Forscher inzwischen im Griff. Jetzt schauen sie optimistisch in die Zukunft: „Wir werden auch die verbleibende Sequenz des Neandertalers entschlüsseln und noch viel mehr über uns und unseren nächsten Verwandten erfahren“, sagt Pääbo.
(idw – Max-Planck-Gesellschaft, 07.05.2010 – DLO)