Zeuge einer fatalen Expedition: Unterwasser-Archäologen haben wahrscheinlich das zweite Schiff der legendären Franklin-Expedition entdeckt. Die HMS Terror liegt südlicher als erwartet am Meeresgrund der kanadischen Queen Maud Bay. Aufnahmen eines Tauchroboters enthüllen, dass das Schiff erstaunlich gut erhalten ist und offenbar vor Anker lag, als es unterging. Der Fund könnte wertvolle Hinweise zum tragischen Ende der Mannschaft liefern.
Der britische Polarforscher und Marineoffizier John Franklin brach im Jahr 1845 mit den Schiffen HMS Erebus und HMS Terror auf, um die Nordwestpassage zu erforschen. Doch seine Expedition endete in einer Katastrophe: Die Schiffe steckten im Eis fest, Franklin und 128 Mann Besatzung kamen um, als sie über das Eis zurück in die Zivilisation gelangen wollten. Die Wracks der Erebus und Terror aber blieben fast 170 Jahre lang verschollen.
100 Kilometer südlicher als erwartet
Nach jahrelanger Suche dann spürte eine Expedition der kanadischen Regierung im Jahr 2014 das Wrack der HMS Erebus in einem südlichen Arm der Nordwestpassage auf. Das Schiff lag am Meeresgrund in einer Bucht der Queen Maud Bay – und damit sehr viel weiter südlich als erwartet.
Jetzt haben Forscher auch das zweite Schiff der gescheiterten Franklin-Expedition aufgespürt. Es liegt am Südende der Victoria Strait in einer Bucht der King William Insel – und damit ebenfalls südlich des bisherigen Suchgebiets. Eines der Expeditionsschiffe machte nur deshalb einen Umweg zur jetzigen Fundstelle, weil ein Innuit sechs Jahre zuvor in dieser Gegend ein langes Holzstück aus dem Wasser ragen sah – ähnlich einem alten Mast.
Überraschend intakt
Das Schiffswrack liegt in 24 Metern Tiefe fast aufrecht auf dem Meeresgrund und ist bemerkenswert gut erhalten, wie Adrian Schimnowski von der Arctic Research Foundation berichtete. Die drei Masten sind zwar gebrochen, aber noch aufrecht, alle Luken sind geschlossen und sogar die Fenster der Kapitänskajüte sind noch intakt.
Mit Hilfe eines Tauchroboters gelangen sogar erste Aufnahmen aus dem Inneren des Wracks unter anderem aus der Schiffsmesse, einigen Kabinen und einer Speisekammer. Zu sehen sind leere Regale, Tische, ein Schreibtisch mit einer offenen Schublade und zwei Weinflaschen – Momentaufnahmen des Lebens an Bord.
„Wenn man dieses Schiff heben könnte und das Wasser herauspumpen, dann würde es wahrscheinlich sogar noch schwimmen“, sagte Schimnowski gegenüber der Zeitung „The Guardian“. An der Außenseite des Wracks entdeckten die Forscher ein langes, dickes Tau, das durch ein Loch im Schiffsrumpf austritt. Dabei könnte es sich möglicherweise um ein Ankertau handeln.
Versuchte die Mannschaft per Schiff zu entkommen?
Nach Ansicht der Unterwasser-Archäologen sind das Ankertau, die sorgsam geschlossenen Luken und die überraschend südliche Position ein wichtiger Hinweis darauf, was sich bei der schicksalhaften Expedition ereignet haben könnte. „Diese Entdeckung könnte die Geschichte verändern“, erklärt Jim Balsillie, der Gründer der Arctic Research Foundation im Guardian.
Denn nach bisherigen Lesart verließ die nach dem Tod von John Franklin verbleibende Mannschaft die beiden im Eis eingeschlossenen Schiffe, um zu Fuß ihr Glück zu versuchen. Eine Notiz darüber hinterließen sie am 25. April 1848 in einem Steinhaufen am Nordende der King William Insel.
Doch die Lage der beiden Schiffe und der Zustand der HMS Terror könnte nach Ansicht von Balsillie und seine Kollegen auf ein anderes Szenario hindeuten. Nach diesem unternahmen Reste der Mannschaft einen letzten verzweifelten Versuch, eines oder beide Schiffe wieder startklar zu bekommen. Sie schafften es, ein Stück weiter nach Süden zu kommen, dann jedoch endete die Reise. Möglicherweise wurde die HMS Terror vor Anker liegend verlassen, während die Männer mit der HMS Erebus weiter segelten, bis sie dann endgültig festsaßen.
Ob dieses Szenario stimmt, könnten weitere Funde im Wrack der HMS Terror vielleicht aufklären. Auch eine offizielle Identifizierung des Wracks steht noch aus. Doch das Aussehen des Schiffs und ein über Deck aufragender Schornstein sprechen nach Ansicht der Forscher dafür, dass es sich um das verschollene Schiff der Franklin-Expedition handelt.
Weitere Untersuchungen des Wracks sind allerdings zeitlich begrenzt, weil der arktische Winter bevorsteht. Schon bald könnte die HMS Terror wieder unter dickem Eis verborgen liegen.
(Guardian, Parcs Canada, 14.09.2016 – NPO)