Paläontologie

Wurm-„Autobahn“ im Urzeit-Schlamm

500 Millionen Jahre alte Wurmspuren torpedieren gängige Annahmen zum Kambrium-Meer

Burgess Shale
Paläontologe Brian Pratt vor der Burgess-Shale-Formation. Die neuentdeckte Wurm-"Autobahn" in Sediment aus der gleichen Zeit wirft auch auf diese Fossilfundstätte ein neues Licht. © Brian Pratt

Überraschender Fund: In Kanada haben Paläontologen eine wahre Wurm-„Autobahn“ entdeckt: Unmengen von versteinerten Bohrgängen, die vor rund 500 Millionen Jahren von verschieden großen Würmern hinterlassen wurden. Das Spannende daran: Bisher hielt man den Meeresgrund zu jener Zeit für zu sauerstoffarm für solche Sedimentbewohner. Die Entdeckung der Wurm-Autobahn zwingt die Paläontologen nun zum Umdenken.

Das Zeitalter des Kambrium brachte eine wahre Explosion der irdischen Lebensformen mit sich. In relativ kurzer Zeit entwickelten sich die Baupläne fast aller heutiger Großgruppen des Tierreichs. Vor allem die mitsamt Weichteilen erhaltenen Fossilien aus dem kanadischen Burgess Shale zeugen von dieser Lebenswelt. Dort finden sich die frühesten Belege für Adern und Herz, für das Gehirn und den wahrscheinlich frühesten Vorfahren aller Wirbeltiere.

Wurmspuren im Urzeit-Schlamm

Bisher dachten Paläontologen, dass diese und weitere Fossil-„Schatztruhen“ aus dem Kambrium vor allem einem Umstand ihre gute Konservierung verdanken: Der Tatsache, dass der Meeresgrund im Urzeitozean nahezu sauerstofffrei war. Dadurch gab es dort kaum Würmer und andere Bodenbewohner, die die abgelagerten Organismenreste zerstören oder durcheinanderbringen können.

Wurmspuren
Ausschnitt aus der Wurm-"Autobahn" mit verschiedenartigen Gängen. © Brian Pratt/ University of Saskatchewan

Nun jedoch gerät dieses Bild ins Wanken. Denn in einem Sediment aus der gleichen Zeit haben Brian Pratt von der University of Saskatchewan und Julien Kimmig von der University of Kansas Spuren wimmelnden Lebens entdeckt. Der rund 500 Millionen Jahre Kalkstein aus den Mackenzie Mountains im Nordwesten Kanadas ist von Unmengen an versteinerten Wurmspuren durchzogen. „Von diesem Fund war ich wirklich überrascht“, sagt Pratt.

Kleine Schlammfresser und große Räuber

Nähere Untersuchungen enthüllten, dass der urzeitliche Meeresgrund von mindestens vier verschiedenen Wurmvarianten durchwühlt wurde. Einige vorwiegend senkrechte Bohrgänge sind weniger als einen Millimeter dick, andere verlaufen dagegen horizontal durch das Sediment und sind zwei bis vier Millimeter breit. Wieder andere sind vertikal und bis zu sechs Millimeter dick und schließlich gibt es einige seltene Gänge, die von großen, bis zu 15 Millimeter dicken Würmern stammen.

Die Forscher vermuten, dass die kleinen Gänge von urzeitlichen Borstenwürmern (Polychaeten) gegraben wurden. Wie ihre heutigen Nachfahren ernährten sie sich wahrscheinlich von organischen Bestandteilen des Schlamms. Die großen Gänge dagegen könnte von räuberischen Wesen stammen, die am Meeresgrund nach Arthropoden oder kleineren Würmern jagten. Sie nutzten die Gänge wahrscheinlich als Schutzhöhlen und Ruheplätze, wie Pratt und Kimmig erklären.

Neue Sicht auf kambrische Lebenswelt

„Zum ersten Mal haben wir Belege für eine große Population von Würmern im kambrischen Sediment entdeckt – einem Lebensraum, den wir für tot hielten““, sagt Pratt. „Im Meeresgrund des Kontinentalschelfs durchwühlten vor 500 Millionen Jahre mehr Tiere den Schlamm als wir je für möglich gehalten hätten – das wirft ein ganz neues Licht auf diesen kambrischen Lebensraum.“ Nach Ansicht der Forscher spricht die neuentdeckte „Wurm-Autobahn“ dagegen, dass der Meeresgrund im Kambrium überall sauerstoffarm war.

„Die häufigen Grabspuren deuten eher auf vorwiegend sauerstoffreiche Bedingungen hin“, so Pratt und Kimmig. Die nahezu unberührt erhaltenen Fossilien im Burgess Shale und ähnlichen Sedimenten aus dem Kambrium verdanken ihre Konservierung daher möglicherweise nicht den anoxischen Bedingungen – oder aber diese Fossil-Lagerstätte ist nicht typisch für die Meere des Kambrium. (Geology, 2019; doi: 10.1130/G45551.1)

Quelle: University of Saskatchewan

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