Rätselhafter Steinschlag: Im Yosemite Nationalpark ereignen sich im Sommer oft scheinbar grundlose Felsstürze. Jetzt haben US-Forscher ihr Geheimnis gelüftet. Demnach kann schon die Wärme alleine ausreichen, um einen solchen Steinschlag zu verursachen. Denn bei Hitze wölben sich schuppenförmige Platten an den Klippen nach außen. Werden die Spannungen im Gestein zu hoch, reißt die Verbindung und die Felsplatte stürzt in die Tiefe, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“.
Der Yosemite Nationalpark in Kalifornien ist für seine spektakulären Wasserfälle und Felsformationen berühmt. Millionen von Besuchern jährlich bestaunen unter anderem die Yosemite Falls. Doch ganz ungefährlich ist dies nicht. Denn immer wieder lösen ganz plötzlich und scheinbar ohne Grund Felslawinen aus den steilen Hängen der Sierra Nevada und große Granitbrocken stürzen zu Tal.
„Felsstürze können von einer ganzen Reihe von Mechanismen ausgelöst werden, darunter starken Niederschlägen, Erdbeben und einem Wechsel von Frost und Tauwetter“, erklären Brian Collins vom US Geological Service und Greg Stock vom Yosemite Nationalpark. „Aber viele Steinschläge passieren ohne diese bekannten Trigger – es müssen daher noch andere Faktoren im Spiel sein.“
Mit Sensoren gespickter Fels
Aber welche? Einen Hinweis darauf könnte das Wetter liefern: Viele der Feldstürze im Yosemite Park ereignen sich buchstäblich aus heiterem Himmel – wenn die Sonne im Sommer am heißesten scheint. Um herauszufinden, ob und wie die Temperatur solche Steinschläge auslöst, bestückten die Forscher eine rund 500 Meter hohe, fast senkrechte Felswand im Yosemite mit Thermofühlern und Sensoren, die die Größe von Rissen in der Wand registrierten.
Diese Sensoren installierten sie in einem Riss, der eine flache, große Steinschuppe vom Rest der Felswand abhob. Diese sogenannte Exfoliation ist typisch für die aus granitähnlichem Granodiorit bestehenden Klippen im Yosemite Park: Hinter der obersten Gesteinsschicht entstehen Risse, die im Laufe der Zeit immer breiter werden und schließlich eine ganze Steinplatte krachend zu Tal stürzen lassen.
Die Klippe „atmet“
„Die Messungen zeigen, dass scheinbar statische Felslandschaften in Wirklichkeit ziemlich dynamisch sind“, berichten die Forscher. „Ein 20 Tonnen schwere Steinplatte kann sich täglich um rund einen Zentimeter von der Felswand wegebewegen und wieder zurück.“ Die Steinschuppen wölben sich dabei nach außen, sind aber an mindestens zwei Kanten noch fest mit den Restfels verbunden.
Die treibende Kraft hinter dieser fast atmenden Bewegung der Felswände ist die Temperatur: „Die maximale Wölbung nach außen ereignet sich nachmittags zwischen 13 und 16 Uhr, wenn der Fels am stärksten aufgeheizt ist“, erklären Collins und Stock. In den heißen Sommermonaten ist dieser Effekt am stärksten. „Die größte Rückbewegung nach innen passiert dagegen am frühen Morgen zwischen 7 und 9 Uhr, wenn es noch kalt ist.“
Spannungen im Fels
Das Tückische daran: Weil die Rückbewegung immer ein wenig schwächer ist als die Aufwölbung, hebt sich die Felsplatte im Laufe der Zeit immer weiter von der Wand ab. Bei der von den Wissenschaftlern vermessenen Steinplatte wuchs der Abstand pro Jahr um einen Millimeter. Das erscheint zunächst nicht viel, summiert sich aber im Laufe der Zeit. „Dieser Prozess destabilisiert die Felsschuppen zunehmend“, so die Forscher.
Und noch etwas kommt hinzu: Jedesmal, wenn sich die Felsplatte wölbt, entstehen starke Spannungen im Gestein. Sie konzentrieren sich dabei an den Punkten, an denen die Steinschuppe noch fest mit dem Untergrund verbunden ist. Bei einer Erwärmung um 20 Grad entsteht an den Riss-Enden eine Belastung von 4.600 bis 5.700 Kilopascal, wie die Wissenschaftler errechneten. Aber reicht diese Belastung schon aus, um die Felsplatte komplett zu lösen und einen Felssturz zu verursachen?
Bloße Erwärmung reicht aus
Offenbar ja, wie Collins und Stock herausfanden. Zwar liegt der Druck eher am unteren Ende dessen, was den Fels zerreißen lässt, es kann im Extremfall aber durchaus ausreichen, um eine Felsplatte von der Klippe zu sprengen. „Durch die im Laufe von zehntausenden von Jahren wiederholten Tageszyklen kann selbst die Stressbelastung durch bloße Erwärmung ausreichen, um existierende Risse zu vergrößern“, so die Forscher.
Ihre Ergebnisse liefern damit diese Erklärung dafür, warum im Yosemite Nationalpark und anderswo immer wieder scheinbar ohne Grund Steinschläge passieren – und warum sich solche Ereignisse im Sommer häufen. Felsstürze benötigen demnach keineswegs immer extreme Ereignisse wie einen Gewittersturm oder ein Erdbeben – auch „aus heiterem Himmel“ können sie entstehen. (Nature Geoscience, 2016; doi: 10.1038/ngeo2686)
(Nature, 29.03.2016 – NPO)