Bevor Weißwangengänse ihren mehr als tausend Kilometer langen Flug ins Winterquartier beginnen, wachsen ihre Flugmuskeln und ihr Stoffwechsel verändert sich. Dass dafür keinerlei zusätzliches Muskel- oder Flugtraining der Gänse nötig ist, hat ein internationales Forscherteam jetzt herausgefunden. „Weder vor dem Frühjahrszug noch im Herbst flogen die Weißwangengänse häufiger oder länger als sonst“, berichten die Forscher im Fachmagazin „Biology Letters“. Die Weißwangengänse seien am Tag durchschnittlich nur 22 Minuten in der Luft geblieben – egal ob kurz vor einer Wanderung oder zu anderen Zeiten im Jahr.
„Bisher nahm man an, dass Zugvögel, die lange Strecken zurücklegen, vor ihrem Start mehr herumfliegen und so ihre Muskeln stärken und ihren Stoffwechsel auf den Langstreckenflug vorbereiten“, schreiben Steven Portugal von der University of Liverpool und seine Kollegen. Ähnlich wie auch der menschliche Sportler, der sich durch gezieltes Training auf seine Höchstleistungen vorbereiten müsse. Doch für die Wildgänse gelte dies offensichtlich nicht.
Für ihre Studie hatten die Forscher sechs Weißwangengänsen auf Spitzbergen einen kleinen Sensor implantiert. Dieser zeichnete mindestens zehn Monate lang den Herzschlag der Tiere auf. Da dieser beim Flug sprunghaft steigt, konnten die Wissenschaftler daran ablesen, wann und wie lange die Wildgänse flogen.
Zwei mögliche Erklärungen für plötzlichen Wachstumsschub
Nach Ansicht der Forscher gibt es zwei mögliche Erklärungen dafür, warum die Flugmuskeln der Gänse auch ohne Zusatztraining wachsen: Zum einen nehmen die Vögel kurz vor ihrem Zug ins Winterquartier oder zurück in ihr Brutgebiet meist an Gewicht zu. Da die Flugmuskeln bei höherem Körpergewicht mehr leisten müssen, könnte diese Zunahme theoretisch für den nötigen Trainingseffekt sorgen – auch ohne dass die Gänse mehr fliegen.
„Bei vielen Wasservögeln gibt es aber auch Hinweise darauf, dass die Flugmuskeln wachsen können, ohne dass sie mehr benutzt werden oder das Körpergewicht parallel steigt“, schreiben die Forscher. Das sei bei den Weißwangengänsen beispielsweis kurz nach der Mauser der Fall. Bei diesem Wachstum verändere sich allerdings der Muskelstoffwechsel nicht so, wie es typischerweise vor dem Langstreckenflug der Fall sei.
Weißwangengans inzwischen auch an der deutschen Ostseeküste heimisch
Die wegen ihrer schwarzweißen Zeichnung am Kopf auch als Nonnengänse bezeichneten Weißwangengänse (Branta leucopsis) brüten auf der Insel Spitzbergen, in Grönland und an der russischen Nordmeerküste. In den letzten Jahren finden sich auch immer häufiger Brutpaare an der deutschen und skandinavischen Ostseeküste.
Im Herbst fliegen die auf Spitzbergen lebenden Weißwangengänse 2.500 Kilometer weit in ihr Winterquartier im schottischen Solway Firth. Auch die grönländischen Gänse überwintern in Schottland, die russischen fliegen im Herbst dagegen nach Skandinavien oder bis in die Niederlande. (Biology Letters, 2011; doi: 10.1098/rsbl.2011.0975)
(Biology Letters / dapd, 16.11.2011 – NPO)