Unerwartete Abkühlung: Weil auf der Südhalbkugel des Neptun schon seit gut 20 Jahren Sommer herrscht, müsste sich der Planet eigentlich erwärmt haben. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie Beobachtungen mit Infrarotteleskopen enthüllen. Demnach hat sich der Neptun seit 2003 sogar um acht Grad abgekühlt. Seltsam auch: Obwohl sich die Temperaturen auf dem Eisriesen nur langsam verändern dürften, erlebte sein Südpol von 2018 bis 2020 eine Hitzewelle – auch darüber rätseln nun die Astronomen.
Der Eisriese Neptun gibt in mehrfacher Hinsicht Rätsel auf. Denn trotz eisiger Temperaturen von weniger als minus 200 Grad und nur sehr geringer Sonneneinstrahlung ist der äußerste Planet des Sonnensystems erstaunlich dynamisch. Weil der Neptun 165 Jahre für einen Umlauf um die Sonne benötigt, wechseln auch seine Jahreszeiten im gemächlichen Takt von rund 40 Jahren. Dennoch toben in der Atmosphäre des Eisriesen die schnellsten Stürme des Sonnensystems und Sturmwolken können innerhalb von Tagen auftauchen oder verschwinden. Woher die Stürme und Wetterphänomene ihre Energie nehmen, ist bislang unklar.
Infrarotblick auf das Neptunklima
Ebenso unbekannt ist bisher, wie die Jahreszeiten des Neptun sein Klima verändern. Modellen zufolge müsste sich der Planet erwärmen, wenn seine Südhalbkugel den Höhepunkt ihres Sommers erlebt. Denn dann bekommt sie ein Maximum an Sonneneinstrahlung. Gleichzeitig müsste das stärkere Sonnenlicht photochemische Reaktionen in der Stratosphäre des Planeten verstärken – so die Theorie. Doch ob dem so ist, ließ sich aus Mangel an hochauflösenden und ausreichend sensiblen Infrarotaufnahmen nicht belegen.
Das hat sich nun geändert: In den letzten rund 20 Jahren haben leistungsstarke Teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte ESO, die Gemini-Teleskope und das Keck-Observatorium auf Hawaii sowie das NASA-Weltraumteleskop Spitzer den Neptun immer wieder im mittleren Infrarotbereich anvisiert. Wie bei einer Wärmebildkamera verrät die Strahlung in diesem Bereich die Temperatur des Planeten.
Astronomen um Michael Roman von der University of Leicester haben diese Daten nun genutzt, um die Temperaturentwicklung des Neptun seit 2003 zu rekonstruieren. Diese Zeitreihe deckt den Höhepunkt des Südsommers und die Zeit ab der Sommersonnenwende im Jahr 2005 ab.
Planetare Abkühlung mitten im Sommer
Das überraschende Ergebnis: Statt sich zu erwärmen, ist der Neptun mit dem Fortschreiten des Südsommers immer kälter geworden. Die Temperatur der unteren Stratosphäre sank von 2003 bis 2018 um rund acht Grad Celsius, wie de Astronomen ermittelten. „Diese Veränderung war unerwartet“, sagt Roman. „Weil wir den Neptun seit Beginn des Frühsommers beobachtet haben, würden wir einen langsamen Anstieg der Temperaturen erwarten, nicht ein Absinken.“
Doch wie ist dies zu erklären? Einen mögliche Grund sehen die Astronomen in den photochemischen Prozessen der Neptunatmosphäre. Weil sie durch die zunehmende UV-Einstrahlung im Sommer vermehrt ablaufen, könnten sie die Temperaturen der Gashülle beeinflussen: „Während Methan das Sonnenlicht absorbiert und die Atmosphäre dadurch erwärmt, sind die photochemisch gebildeten Kohlenwasserstoffe wie Ethan und Acetylen starke Infrarot-Emitter, die zur Kühlung der Stratosphäre beitragen“, erklärt das Team.
Rapide Hitzewelle am Südpol
Noch unerwarteter war eine weitere Beobachtung: In der Zeit von 2018 bis 2020 hat sich der Südpolarwirbel des Neptun drastisch erwärmt – seine Temperatur stieg in diesen zwei Jahren um elf Grad. „Diese rapiden Veränderungen sind für eine saisonale Schwankung überraschend schnell, vor allem wenn man bedenkt, dass der Südpol schon seit 1963 konstant in der Sonne liegt“, schreiben die Forscher. „Offenbar sind in der Atmosphäre des Neptun zusätzliche Prozesse am Werk, die innerhalb der Jahreszeiten und auf regionalen wie globalen Skalen stattfinden.“
Welche Prozesse dies jedoch sind, ist bislang unklar. Die Astronomen hoffen nun, dass neue Teleskope wie das James-Webb-Weltraumteleskop der NASA und das erdbasierte Extremely Large Telescope (ELT) der Europäischen Südsternwarte ESO die Gründe für die erstaunlichen Entwicklungen auf den Neptun enthüllen können. (Planetary Science Journal, 2022; doi: 10.3847/PSJ/ac5aa4)
Quelle: University of Leicester, European Southern Observatory (ESO)