Er ist jung und gleichzeitig uralt: Forscher haben den bisher fernsten Galaxiencluster im Universum entdeckt. Er liegt rund 11,1 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt und ist vermutlich gerade erst entstanden. Das Spannende daran: Der Fund eines so alten Galaxienhaufens zeigt, dass diese Giganten des Kosmos schon deutlich früher nach dem Urknall entstanden, als man es bisher für möglich hielt.
Galaxiencluster gehören zu den größten Strukturen im Kosmos. Sie bestehen aus hunderten bis tausenden von Sternenansammlungen, die durch die Schwerkraft aneinander gekoppelt sind. Während einzelne Galaxien schon sehr früh im Kosmos entstanden, muss es nach gängiger Theorie mehrere Milliarden Jahre gedauert haben, bis das junge Universum die ersten solcher Galaxienhaufen schuf.
Umso überraschter waren Astronomen Anfang 2016, als sie einen ungewöhnlich großen Galaxienhaufen in zehn Milliarden Lichtjahren Entfernung aufspürten. Denn der Gigant mit 280 Billionen Sonnenmassen existierte damit schon erstaunlich früh. Zuvor hatte man aus dieser Zeit nur junge Vorläufer solcher Cluster entdeckt.
700 Millionen Jahre älter
Jetzt jedoch haben Tao Wang von der Université Paris Diderot und seine Kollegen mit Hilfe der Röntgenobservatorien Chandra und XMM-Newton einen noch weiter entfernten Galaxienhaufen entdeckt. CL J1001+0220 liegt rund 11,1 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt und umfasst rund 60 Billionen Sonnenmassen. In seinem inneren Bereich konnten die Astronomen mindestens 17 Galaxien identifizieren.
„Mit einer Rotverschiebung von z=2,506 ist dies der älteste spektroskopisch bestätigte Galaxienhaufen“, berichten die Astronomen. „Er verschiebt die Entstehungszeit solcher Cluster um weitere 700 Millionen Jahre in die Vergangenheit.“
„Missing Link“ der Galaxiencluster
Trotz seines hohen Alters besitzt dieser Cluster jedoch bereits die Merkmale eines vollausgebildeten Galaxienhaufens, wie die Forscher betonen. Dazu gehört vor allem ein großer Halo aus Gas und Dunkler Materie, der die Galaxien durch seine Schwerkraft zusammenhält. CL J1001+0220 besitzt einen solchen Halo und unterscheidet sich damit deutlich von den bisher bekannten Protoclustern.
„Wir haben diese Galaxiencluster offenbar in einem entscheidenden Stadium erwischt, als er gerade von einer losen Ansammlung von Galaxien zu einem jungen, aber voll ausgebildeten Galaxiencluster wurde“, sagt Wangs Kollege David Elbaz. Nach Ansicht der Astronomen könnte er daher ein „Missing Link“ sein – die bisher fehlende Übergangsform von Protoclustern zu ausgereiften Galaxienclustern.
Verblüffend aktive Sternbildung
CL J1001+0220 besitzt noch eine Besonderheit: „Dieser Galaxiencluster ist nicht nur für seine Entfernung bemerkenswert, er durchlebt auch einen erstaunlichen Wachstumsschub, der keinem bisher beobachteten gleicht“, sagt Wang. Von den elf massereichen Galaxien im Kern des Haufens zeigen neun einen wahren Boom der Sternbildung.
Insgesamt entstehen im zentralen Bereich des Galaxienhaufens 3,400 neue Sonnen im Jahr – das ist für einen Galaxiencluster in dieser Entfernung ungewöhnlich viel. Nach Ansicht der Astronomen spricht diese Beobachtung dafür, dass die Haufengalaxien einen Großteil ihrer Sterne erst bilden, nachdem sie Teil des Clusters geworden sind. Bisher war dies strittig, weil die Galaxien theoretisch auch schon vorher ihre Sterne bilden könnten.
„Indem wir dieses Objekt weiter erforschen, können wir eine Menge darüber lernen, wie Galaxienhaufen und ihre Galaxien entstehen“, sagt Koautor Alexis Finoguenov von der Universität Helsinki. Gleichzeitig sind die Astronomen schon dabei, nach weiteren Beispielen für solche jungen Giganten des Kosmos zu suchen. (Astrophysical Journal, in press; arXiv:1604.07404)
(Chandra X-Ray Observatory, 01.09.2016 – NPO)