Astronomie

Astronomen finden „Rote Monster“

Sternenreiche frühe Galaxien stellen Theorien zum Galaxienwachstum in Frage

Rote Monster
Diese Aufnahme des James-Webb-Teleskops zeigt die "Roten Monster" – drei ungewöhnlich massereiche und roten Galaxien im frühen Kosmos. © NASA/CSA/ESA; M. Xiao & P. A. Oesch/ Universität Genf; G. Brammer/Niels Bohr Institute, Dawn JWST Archive

Tiefrot und sternenreich: Astronomen haben drei frühe, staubverhüllte Galaxien entdeckt, die gängigen Modellen widersprechen – die drei „Roten Monster“ sind sternenreicher als sie sein dürften. Den Daten zufolge haben diese Galaxien schon 50 Prozent ihrer gesamten Materie in Sterne umgewandelt. Das ist zwei bis dreimal mehr als normal – und wandelt damit etablierte Annahmen zum Galaxienwachstum im frühen Kosmos, wie das Team in „Nature“ berichtet. Gleichzeitig klärt dies die Frage, ob das kosmologische Standardmodell stimmt.

Es ist eines der Rätsel der Astronomie: Seitdem das James-Webb-Teleskop in Betrieb ist, enthüllt es immer wieder Galaxien im frühen Kosmos, die gängigen Annahmen widersprechen. 2023 zeigte es gleich sechs Galaxien, die schon rund 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall ähnlich groß und massereich waren wie die Milchstraße heute. Selbst die früheste bekannte Galaxie war eigentlich zu massereich für ihre Zeit.

NIRCam-Aufnahmen
Aufnahmen der drei „Roten Monster“ in drei NIRCam-Filtern des Webb-Teleskops, Farbwiedergabe und Ansicht im Spektralbereich des Wasserstoff-Alphaübergangs. © Xiao et al./ arXiv/ Nature, CC-by 4.0

Stimmt die Kosmologie nicht?

Das Problem daran: Um ein so rasantes Galaxienwachstum zu erklären, müsste die Materiedichte im frühen Universum zwei bis fünfmal größer gewesen sein als nach dem gängigen kosmologischen Modell. Liegt das etablierte ΛCDM-Modell demnach falsch? Um das zu prüfen, haben Astronomen um Mengyuan Xiao von der Universität Genf noch einmal systematisch nach frühen „Ausreißer“-Galaxien gesucht. Dafür werteten sie Daten des Nahinfrarot-Spektrometers (NIRCam) am James-Webb-Teleskop aus.

Die Astronomen wurden fündig: Sie entdeckten 36 weitere massereiche, von dichtem Staub verhüllte Galaxien aus der Zeit rund eine Milliarde Jahre nach dem Urknall. „Diese staubverhüllten Galaxien sind entscheidend, weil sie im sichtbaren Licht kaum zu sehen sind. Das könnte wichtige Hinweise auf mögliche Verzerrungen in bisherigen Studien liefern“, erklären Xiao und ihre Kollegen. Mithilfe der hochauflösenden Spektren des Webb-Teleskops analysierte das Team die Sternenmasse dieser Galaxien und dessen Verhältnis zur normalen und Dunklen Materie.

Halomasse zu Sternenmasse
Das Verhältnis von Halomasse zur Sternenmasse ist bei allen drei Galaxien außergewöhnlich. © Xiao et al./ arXiv/ Nature, CC-by 4.0

„Rote Monster“ mit Sternbildungs-Turbo

Dabei stachen drei der frühen Galaxien heraus – die Astronomen tauften sie wegen ihrer überraschenden Größe und roten Farbe „Rote Monster“. Alle drei sind trotz ihres hohen Alters schon fast so massereich wie die Milchstraße und produzieren Sterne in rasendem Tempo: Ihre Sternbildungsrate liegt zwischen 795 und 1030 Sonnenmassen pro Jahr. „Drei so massereiche, aktive Objekte in unserer Galaxienprobe zu finden, stellt uns vor ein faszinierendes Rätsel“, erklärt Koautor Stijn Wuyts von der University of Bath.

Der Grund: Um so viele Sterne in so kurzer Zeit zu produzieren, müssen die drei „Roten Monster“ viel mehr Gas in Sterne umwandeln als normal. „Ihre Konversionsrate liegt zwei bis dreimal höher als für die effizienteste Sternbildung jüngerer Galaxien üblich“, berichten die Astronomen. Typischerweise können solche Galaxien nur rund 20 Prozent des in ihrer Umgebung verfügbaren Gases für die Sternbildung nutzen.

„Beim Galaxienwachstum gibt es viele Prozesse, die die Effizienz der Sternbildung limitieren, aber irgendwie haben es diese Roten Monster geschafft, die meisten dieser Hürden zu umgehen“, sagt Wuyts.

Kosmologie stimmt, aber Modelle zum Galaxienwachstum nicht

Zusammengenommen liefert die Beobachtungen gleich zwei neue Erkenntnisse. Zum einen bestätigen sie das kosmologische Standardmodell: Es ist keine „unmöglich“ hohe Materiedichte im frühen Kosmos nötig, um die frühen Galaxiengiganten zu erklären. „Unsere Beobachtungen stellen bisher keinen signifikanten Widerspruch zum ΛCDM-Modell dar“, konstatieren die Astronomen.

Zum anderen legen die drei „Roten Monster“ aber nahe, dass die Sternbildung und das Galaxienwachstum im frühen Kosmos anders ablief als später. „Unsere Ergebnisse wandeln unsere Vorstellungen von der frühen Galaxienentwicklung „, erklären Xiao und ihre Kollegen. „Sie liefern starke Belege dafür, dass das Universum in seiner Anfangszeit zwei- bis dreimal effizienter war, wenn es um das Wachstum der Galaxien ging.“ Welche Faktoren im frühen Kosmos dies ermöglichten, ist jedoch noch ungeklärt.

„Die Roten Monster sind erst der Anfang einer neuen Ära unserer Erforschung des frühen Kosmos“, betont Xiao. „Wenn wir solche frühen Galaxien genauer studieren, werden sie uns neue Einblicke in die Bedingungen geben, die die frühesten Epochen des Universums prägten.“ (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-08094-5)

Quelle: Nature, University of Bath

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