Spannende Parallelen: Astronomen haben einen Exoplaneten entdeckt, dessen Orbit dem des hypothetischen Planet 9 in unserem Sonnensystem ähnelt. Denn auch der 336 Lichtjahre entfernte Planet kreist auf einer geneigten, exzentrischen und sehr weit außen liegenden Umlaufbahn. Die Existenz von HD 106906 b belegt, dass es solche fernen Außenplaneten gibt und liefert wertvolle Hinweise darauf, wie sie entstehen können.
Seit 2016 spekulieren Astronomen darüber, ob unser Sonnensystem doch einen neunten Planeten besitzt – einen neptungroßen Eisriesen, der sich weit außen im Kuipergürtel verbergen soll. Als Indizien dafür gelten Auffälligkeiten in den Bahnen mehrerer transneptunischer Objekte. Sie deuten darauf hin, dass dort draußen ein Objekt mit großer Schwerkraft auf einem weiten, sehr exzentrischen und geneigten Orbit kreist.
Ob es diesen „Planet 9“ aber wirklich gibt, ist umstritten – auch, weil anhand gängiger Planetenbildungsmodelle nur schwer erklärbar ist, wie ein Planet in eine so ungewöhnliche Umlaufbahn geraten kann. Hypothesen dazu reichen von Störeffekten des Jupiter bis zu einem eingefangenen Exoplaneten.
Weit jenseits des Üblichen
Jetzt wirft eine astronomische Entdeckung neues Licht auf die mögliche Existenz von Planet 9. Denn Astronomen um Meiji Nguyen von der University of California in Berkeley haben einen Exoplaneten identifiziert, der auf einer ähnlich ungewöhnlichen Bahn kreist wie unser hypothetischer Planet 9. Der HD 106906 b getaufte Gasriese ist Teil eines 336 Lichtjahre entfernten Doppelsternsystems. Sterne und Planet sind erst 15 Millionen Jahre alt und damit noch sehr jung.
Das Ungewöhnliche jedoch: Der rund elf Jupitermassen schwere Exoplanet liegt rund 730 astronomische Einheiten von seinen beiden Zentralsternen entfernt. Übertragen auf unser Sonnensystem wäre dieser Planet damit 25 Mal weiter von der Sonne entfernt als der Neptun. Er läge damit noch weit außerhalb des Kuipergürtels, einem Reservoir eisiger Kometen und Kleinplaneten. HD 106906 b bewegt sich zudem außerhalb der Bahnebene seines Systems: Ersten Beobachtungen zufolge stand er 21 Grad oberhalb der zentralen Staubscheibe.
All diese Merkmale weckten zunächst Zweifel, ob dieser Planet überhaupt noch durch die Schwerkraft an seine Sterne gebunden ist oder ob es sich vielleicht doch um einen ausgeschleuderten Einzelgänger-Planet handelt. Um mehr über die Umlaufbahn von HD 106906 b herauszufinden, haben Nguyen und ihr Team nun 14 Jahre an Beobachtungsdaten des Hubble-Weltraumteleskops sowie Daten des Gaia-Sternenkatalogs ausgewertet.
Zwillingsbruder von Planet 9
Das Ergebnis: HD 106906 b ist kein Einzelgänger, sondern umkreist seine Sterne in einem echten Orbit. Wegen seiner großen Entfernung benötigt er für einen Umlauf allerdings 15.000 Jahre. Ähnlich wie für Planet 9 prognostiziert, folgt der Exoplanet dabei einem stark exzentrischen Orbit, der sogar um 36 bis 44 Grad gegen die Bahnebene seines Systems geneigt ist. Er kommt seinen Sternen selbst bei seiner nächsten Annäherung nie näher als etwa 500 astronomische Einheiten, wie die Astronomen ermittelt haben.
Damit belegt dieser Exoplanet erstmals, dass solche ungewöhnlichen und extrem weit außen liegenden Umlaufbahnen existieren können. „HD 106906 b ist der einzige bekannte und direkt abgebildete Exoplanet, der so verschoben und weit von seinen Zentralsternen entfernt ist“, sagt Nguyen. „Gleichzeitig ist er der erste Planet, dessen Orbit dem des hypothetischen Planet 9 entspricht.“
Durch Schwerkraftturbulenzen ausgeschleudert
Doch wie kam der junge Gasriese HD 106906 b in seine heutige Bahn? Bisher können die Astronomen darüber nur spekulieren. Am wahrscheinlichsten ist es demnach, dass dieser Exoplanet einst viel näher an seinen Sternen gebildet wurde – vermutlich nur rund drei astronomische Einheiten entfernt. Doch dann führte die Reibung mit der dichten Gasscheibe dazu, dass er seinen Zentralsternen zu nahe kam und durch Schwerkraftturbulenzen ausgeschleudert wurde.
Ein ähnliches Szenario könnte Modellen zufolge Planet 9 in unserem Sonnensystem in seine exotische Außenbahn katapultiert haben. Demnach entstand auch er zunächst im inneren Sonnensystem, wurde dann aber durch Wechselwirkungen mit dem Gasriesen Jupiter aus seiner Bahn geworfen. Dessen „Schubs“ könnte dann Planet 9 weit in die Außenregionen unseres Systems geschleudert haben.
Sternpassage als Stabilisator?
Allerdings: Normalerweise müsste ein Planet durch einen solchen „Schubs“ komplett aus seinem Heimatsystem ausgeschleudert werden, wie Simulationen nahelegen. Es sei denn, ein äußerer Einfluss wie beispielsweise ein nahe vorbeiziehender Stern, hat seine Bahn rechtzeitig stabilisiert. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass unser Sonnensystem schon mehrfach solche nahen Sternpassagen erlebte.
Auch im Sternsystem von HD 106906 b gibt es Indizien für größere Störungen. So sind die äußere Staubscheibe und der Kometengürtel in diesem System asymmetrisch verformt, wie Beobachtungsdaten zeigen. Wie genau diese Verformung aber zustande kam, ist noch offen: „Es ist ein wenig, als wenn man an den Ort eines Autounfalls kommt und versucht zu rekonstruieren, was passiert ist“, sagt Nguyens Kollege Paul Kalas. „Haben vorüberziehende Sterne den Planeten gestört und dieser störte dann die Scheibe? Oder verursachte die Sternenpassage beide Effekt gleichzeitig? Dies ist wirklich astronomische Detektivarbeit.“
Noch ist der genaue Hergang der Ereignisse rund um den Exoplaneten HD 106906 b unklar. Doch schon jetzt belegt seine Existenz, dass Planeten mit so exotischen, fernen Umlaufbahnen existieren können. Das macht auch den hypothetischen Planet 9 in unserem Sonnensystem zumindest ein Stück wahrscheinlicher. (Astronomical Journal, 2020; doi: 10.3847/1538-3881/abc012)
Quelle: NASA/Goddard Space Flight Center, University of California – Berkeley, ESA/Hubble Information Centre