Astronomie

Astronomen finden „rülpsenden“ Exoplaneten

Erste Beobachtung eines abrupt wechselnden Gasverlusts aus der Planetenatmosphäre

AU Mic und sein PLanet
Diese Illustration zeigt die Wasserstoffwolke, die der Exoplanet AU Mic b "ausgerülpst" hat und vor sich herschiebt. © NASA/ESA, Joseph Olmsted (STScI)

Verblüffender Wechsel: Der nur 32 Lichtjahre entfernte Exoplanet AU Microscopii b zeigt ein noch nie beobachtetes Verhalten. Bei der ersten Beobachtung mit dem Hubble-Teleskop erschien der Jungplanet trotz Nähe zum Stern völlig unberührt, doch eineinhalb Jahre später verlor er plötzlich enorme Mengen Gas aus seiner Hülle. Ungewöhnlich auch: Dieses „ausgerülpste“ Wasserstoffgas bildete keinen Schweif hinter dem Exoplaneten, sondern eine Wolke vor ihm. Über den Grund für dieses merkwürdige Verhalten können die Forschenden nur spekulieren.

Ob Proxima Centauri, Teergardens Stern oder TRAPPIST-1: Viele Rote Zwergsterne in unserer Nachbarschaft werden von gleich mehreren Exoplaneten umkreist – viele davon gelten als potenziell lebensfreundlich. Doch gerade junge Rote Zwerge sind ziemlich launisch: Sie erzeugen enorme Strahlenausbrüche, die ihre Planeten mit Schüben energiereicher Röntgen- und UV-Strahlung bombardieren. Bei eng um ihren Stern kreisenden Planeten kommt ein starker Sternenwind und die intensive Strahlung dazu.

Wegen dieser wenig angenehmen Bedingungen gehen Astronomen davon aus, dass eng um junge Rote Zwerge kreisende Exoplaneten schon in ihrer Frühzeit einen beträchtlichen Teil ihrer Atmosphäre verlieren müssten. Dies gilt als einer der Gründe, warum im nahen Umfeld solcher Sterne vorwiegend hüllenlose Gesteinsplaneten oder massereiche „heiße Jupiter“ zu finden sind.

AU Mic
Diese Aufnahme des James-Webb-Teleskops zeigt die Staubscheibe um den jungen Roten Zwerg AU Microscopii. Die beiden Planeten sind im Infrarot nicht zu erkennen, wohl aber in den vom Hubble-Teleskop genutzten optischen und UV-Lichtspektren. © NASA/ESA/CSA, Kellen Lawson (NASA-GSFC), Joshua E. Schlieder (NASA-GSFC)

Dem Gasverlust auf der Spur

Doch jetzt haben Astronomen um den 32 Lichtjahre entfernten Roten Zwerg AU Microscopii etwas entdeckt, das ihnen Rätsel aufgibt. Dieser junge, erst 23 Millionen Jahre alte Zwergstern besitzt zwei Planeten, von denen der innere, AU Mic b, ihn im Abstand von nur 9,6 Millionen Kilometern umkreist – das entspricht etwa einem Zehntel des Abstands vom Merkur zur Sonne. Der Exoplanet ist gut viermal so groß wie die Erde und gehört wahrscheinlich zu den gasreichen heißen Neptunen.

„Bei Planeten dieser Größe und dieser Umlaufbahn erwarten wir eine signifikante Photoevaporation“, erklären Keighley Rockcliffe vom Dartmouth College in New Hampshire und ihre Kollegen. Der Exoplanet müsste demnach beim nahen Umkreisen seines Sterns ständig etwas von seiner Gashülle verlieren. „Ich versuche, diesen Massenverlust sozusagen auf frischer Tat zu ertappen, um zu verstehen, wie sich solche Planeten entwickeln“, sagt Rockcliffe.

Dafür haben die Astronomen zweimal im Abstand von eineinhalb Jahren jeweils mehrere Transits des Planeten vor seinem Stern mit dem Hubble-Teleskop beobachtet. Das Team nutzte den Spektrografen des Hubble-Teleskops, um nach verräterischen Absorptionslinien in der Lyman-Alpha-Strahlung des Systems zu suchen – dem von heißem, angeregtem Wassergas ausgehenden Strahlenanteil. „Die Absorption im Lyman-Alpha-Bereich während des Transits kann anzeigen, ob neutraler Wasserstoff aus der oberen Atmosphäre des Planeten entweicht oder nicht“, erklärt das Team.

Abrupter Wechsel

Die Beobachtungen enthüllten Überraschendes: In der ersten Beobachtungsphase detektierte das Hubble-Teleskop keine Hinweise auf einen Gasverlust bei AU Mic b. Der Planet schien trotz seiner Nähe zum Stern und dessen kurz zuvor ausgeschleuderten Strahlenausbruchs unberührt – schon das war erstaunlich. Doch bei der erneuten Beobachtung eineinhalb Jahre später hatte sich dies drastisch geändert: Plötzlich zeigten die Spektraldaten eine große, vom Planeten wegrasende Menge Wasserstoffgas.

„Wir haben noch nie gesehen, dass der atmosphärische Massenverlust bei einem Planeten in einer so kurzen Zeit von nicht nachweisbar zu sehr sichtbar wechselt“, sagt Rockcliffe. „Als ich die Daten zum ersten Mal sah, dachte ich: Das kann nicht richtig sein! Denn wir haben etwas sehr viel Vorhersehbareres und sich Wiederholendes erwartet.“ Ein so starker Wechsel der Lyman-Alpha-Absorption sei zuvor noch nie bei beobachtet worden.

Gaswolke „ausgerülpst“ statt weggeweht

Das war aber nicht die einzige Überraschung: Der vom Exoplaneten AU Mic b weggerissene Wasserstoff bildete eine riesige, langgezogene Wolke – aber in scheinbar völlig falscher Richtung. Statt einen vom Stern abgewandten Schweif zu formen, wie man es erwarten würde, sammelte sich der Wasserstoff vor dem Planeten. Die Gaswolke ähnelte damit dem Lichtkegel eines Scheinwerfers oder der in kalter Luft auskondensierten Atemwolke eines Menschen.

„Von Planeten dachten wir allerdings nicht, dass sie Wasserstoff in dieser Form ausrülpsen würden“, sagt Rockcliffe. Weder die Richtung noch der abrupte Wechsel dieser Ausgasungen entspreche den Erwartungen. „Diese ziemlich seltsame Beobachtung ist ein Stresstest für die physikalischen Modelle zu Planetenentwicklung“, so die Astronomin.

Was ist die Ursache für diese Anomalien?

Noch ist nicht geklärt, was hinter diesem merkwürdigen Verhalten von AU Mic b und seinem Mutterstern steckt. Die Astronomen können darüber nur spekulieren und ziehen mehrere mögliche Erklärungen in Betracht. So gibt es ein Modell, nach dem die Interaktion zwischen dem Sternenwind und dem vom Planeten weggerissenen Gas Turbulenzen erzeugt. Diese erzeugen einen Gasschweif auch auf der Vorderseite des Planeten und reißen in bestimmten Abständen große Gaswolken von ihm ab.

„Dieses ‚Rülps‘-Szenario könnte erklären, warum wir die Lyman-Alpha-Absorption vor dem Planeten gesehen haben und nur in unserer zweiten Beobachtungsperiode“, schreiben Rockcliffe und ihr Team. Ein anderes Szenario wäre, dass der starke Flare kurz vor der ersten Beobachtungsperiode Teile des weggerissenen Wasserstoffs ionisiert hat. Dies könnte ihn vorübergehend unsichtbar für die auf neutralen Wasserstoff ausgerichteten Spektralanalysen gemacht haben. Allerdings erklärt dies nicht, warum der Wasserstoffschweif beim zweiten Mal vor statt hinter dem Planeten lag.

Weitere Beobachtungen sollen Klarheit schaffen

Die Astronomen hoffen, das Rätsel um den „Rülpsenden“ Exoplaneten AU Mic b mithilfe von weiteren Beobachtungen mit dem Hubble-Teleskop lösen zu können. Das würde auch helfen, die allgemeine Atmosphären-Entwicklung junger Planeten um Rote Zwerge zu verstehen.

„Das Wissen darüber, wie sich Atmosphären entwickeln und welche Planeten stabile Gashüllen behalten, ist wichtig für unsere Suche nach Leben auf anderen Planeten“, erklärt Rockcliffe. „Denn Atmosphäre sind essenziell um zu verstehen, wie Leben entstehen und überdauern kann.“ (The Astronomical Journal, 2023; doi: 10.3847/1538-3881/ace536)

Quelle: Space Telescope Science Institute, Dartmouth College

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Exoplaneten - Die Suche nach einer zweiten Erde von Sven Piper

Top-Clicks der Woche