Wer wars? Astronomen haben endlich herausgefunden, woher der gigantische Gasstrom zwischen der Milchstraße und den Magellanschen Wolken stammt – und Überraschendes entdeckt. Der sogenannte „Leading Arm“ kommt nicht aus der größeren der beiden Nachbargalaxien, wie bisher gedacht. Stattdessen riss dessen Schwerkraft das Gas aus der Kleinen Magellanschen Wolke heraus. Spannend ist dies vor allem deshalb, weil dieser Gasstrom der Milchstraße inzwischen Rohstoff für ihre Sternbildung liefert.
Die Große und Kleine Magellansche Wolke sind die nächsten Nachbarn unserer Milchstraße – und sie stehen in enger Wechselwirkung miteinander und mit unserer Heimatgalaxie. Unsere beiden Nachbarn sind sowohl durch eine Magnetbrücke als auch durch einen Gasstrom miteinander verbunden. Ein weiterer Gasstrom, der sogenannte „Leading Arm“, reicht von den beiden Magellanschen Wolken bis zur Milchstraße.
Vom großen oder kleinen Nachbarn?
Doch woher kommt dieser gigantische Gasstrom? Bekannt ist, dass der Leading Arm wahrscheinlich schon seit ein bis zwei Milliarden Jahren existiert. Sein Wasserstoffgas ist seither ein wichtiger Rohstofflieferant für die Sternbildung in der Milchstraße. Von welchem unserer beiden Nachbarn die Milchstraße sich dieses Gas aber absaugt, ist bislang umstritten.
„Kommt das Gas von der Großen oder der Kleinen Magellanschen Wolke? Und wurde es auf einmal ausgestoßen oder nach und nach? Das war die Frage“, erklärt Erstautor Andrew Fox vom Space Telescope Science Institute in Baltimore. Er und seine Kollegen haben dieses Rätsel nun mithilfe kosmischer „Forensik“ aufgeklärt – sie ermittelten den chemischen Fingerabdruck des Gasstroms. Mit dem Hubble-Weltraumteleskop analysierten sie dafür das Spektrum der ultravioletten Strahlung von sieben Quasaren, die durch den Gasstrom schien.
Gas-Diebstahl in großem Stil
Das überraschende Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass das Gas im Leading Arm zu einer Herkunft in der Kleinen Magellanschen Wolke passt“, sagt Fox. Entgegen den Erwartungen könnte die riesige Gasbrücke demnach zumindest zum größten Teil von der kleineren der beiden Nachbargalaxien ausgestoßen worden sein. Denn die Sauerstoffwerte im ältesten Teil des Gasstroms seien zu niedrig, um zur Großen Magellanschen Wolke zu passen, so die Astronomen.
Ihrer Ansicht nach könnte die Anziehungskraft der größeren der beiden Galaxien dazu beigetragen haben, der kleineren das Gas zu entziehen: „Die Große Magellansche Wolke hat das Tauziehen offensichtlich gewonnen, denn sie hat diese große Menge Gas aus ihrem kleineren Nachbarn herausgesaugt“, sagt Fox.
Rohstoff für Sterne und Planeten der Milchstraße
Diese neuen Erkenntnisse sind auch für unser Verständnis der Milchstraße und er in ihr ablaufenden Prozesse relevant, wie die Forscher erklären. Denn die Schwerkraft unserer Galaxie hat den Leading Arm inzwischen so weit zu sich hingezogen, dass er ihre Hauptebene kreuzt. Dadurch kommt es zu Wechselwirkungen, die den Gasstrom zunehmend fragmentieren. Gleichzeitig entstehen durch die Turbulenzen in diesem Gebiet neue Sterne und Planeten.
„Die Prozesse zu verstehen, die neues Gas in Galaxien bringen, ist eines der großen Ziele der Astrophysik“, erklären die Astronomen. „Und weil die beiden Magellanschen Wolken quasi in unserem Vorgarten liegen, können wir das Geschehen hier quasi aus der ersten Reihe beobachten.“
Größer und variabler als gedacht
Interessant auch: Der Gasstrom wurde offenbar nicht auf einmal ausgestoßen. Unterschiede in der Elementzusammensetzung deuten stattdessen darauf hin, dass es mindestens drei unterschiedlich alte Bereiche im Leading Arm gibt. Die Forscher fanden zudem auffallende Ähnlichkeiten zwischen der Zusammensetzung des Leading Arm und einer zweiten, hinter beiden Galaxien herziehenden Gaswolke. Sie vermuten daher, dass beide einen gemeinsamen Ursprung in der Kleinen Magellanschen Wolke haben.
Wie die Astronomen herausfanden, ist der Leading Arm zudem deutlich größer als bisher angenommen. Er umfasst ein 60 mal 80 Winkelgrade großes Himmelsgebiet. Eine genaue Kartierung dieses enormen Gebiets steht allerdings noch aus – das haben sich Fox und seine Kollegen als nächstes vorgenommen. (The Astrophysical Journal, 2018; doi: 10.3847/1538-4357/aaa9bb)
(NASA/GSFC, 26.03.2018 – NPO)