Riesenwirbel am Sternenpol: Planeten sind nicht die einzigen Himmelskörper mit Polarwirbeln – auch die Sonne hat solche Strömungsmuster, wie nun eine Simulation enthüllt. Demnach bildet das Sonnenplasma zunächst einen geordneten Kranz aus gegenläufigen Plasmawirbeln. Diese wandern im Laufe des Sonnenzyklus polwärts und werden weniger, bis sie am solaren Maximum ganz verschwinden. Momentan wäre daher an den Polen der Sonne nichts zu sehen. Was aber bedeutet dies für künftige Sonnenmissionen?
Die Erde hat sie, Jupiter, Saturn und auch die Venus: Fast alle Planeten im Sonnensystem haben Polarwirbel in ihrer Atmosphäre. Diese Windbänder und Wirbel entstehen durch die Wechselwirkung der Rotation mit Luftströmungen. Auf der Erde bilden sie eine starke polare Ringströmung, die die Pole umgibt, auf dem Jupiter zeigen sie sich als dichtgepackte Gruppe von Wirbelstürmen und über dem Nordpol des Saturn als sechseckiges Strömungsmuster.
Rätsel um solare Pole
Doch wie sieht es mit Polarwirbeln auf der Sonne aus? Bisher ist dies unbekannt, weil die Erde, alle Planeten und Sonnensonden sich in der äquatorialen Ebene unseres Sterns bewegen. Wir sehen die Sonne dadurch immer nur von der Seite, ihre Pole bleiben unsichtbar. Theoretisch müsste die Rotation der Sonne zwar ebenfalls polare Wirbelphänomene erzeugen. „Aber anders als bei den Planetenatmosphären ist das solare Plasma stark durch Magnetfelder geprägt“, erklären Mausumi Dikpati vom National Center for Atmospheric Research in Colorado und ihre Kollegen.
Wie sich diese solaren Magnetfelder auf mögliche Polarwirbel auswirken und ob sie diese vielleicht sogar ganz verhindern, ist unklar. Hinzu kommt, dass sich die solaren Magnetfelder im Verlauf des elfjährigen Sonnenzyklus verändern: Bei jedem solaren Maximum polt sich das Magnetfeld um. Parallel dazu bewegen sich stark magnetisierte Plasmaströmungen im Laufe des Zyklus allmählich polwärts. Daraus ergeben sich komplexe Wechselwirkungen, die erst in Teilen entschlüsselt sind.
Sonnenpole ins Labor geholt
Jetzt liefert eine Simulation neue Einblicke: Ausgehend von physikalischen Gesetzmäßigkeiten rekonstruierten Dikpati und ihr Team, wie sich die Plasmaströmungen mit und ohne Magnetfeld im Laufe eines Sonnenzyklus verhalten müssten. Dafür nutzten sie eine magnetohydrodynamische Simulation, die den Einfluss der solaren Magnetfelder und ihre Entwicklung im Verlauf des Sonnenzyklus und die Strömungsdynamik im Plasma berücksichtigte.
Das Ergebnis: Auch unsere Sonne besitzt wahrscheinlich Polarwirbel. Allerdings ähneln die Strömungsmuster im polaren Sonnenplasma eher den Wirbelgruppen an den Jupiterpolen als der einfachen Ringströmung der irdischen Polarwirbel, wie die Simulation enthüllte. Zudem sind diese Polarwirbel nicht statisch, sondern zeigen eine typische, mit dem Sonnenzyklus synchronisierte Entwicklung.
Entwicklung der solaren Polarwirbel im Verlauf eines Sonnenzyklus.© UCAR
Erst Wirbelkranz, dann polares Wirbelpaar
Den Anfang macht dabei ein Kranz aus gegenläufig rotierenden Plasmawirbeln, der sich auf etwa 55 Grad solarer Breite bildet – dies entspricht bei der Sonne dem Beginn der polaren Breiten. Im Laufe des Sonnenzyklus bewegen sich diese Wirbel dann immer weiter polwärts. „Der Ring schrumpft dabei und verliert während seiner Bewegung Wirbel, bis schließlich nur noch ein Wirbelpaar sehr nahe am Pol übrigbleibt“, beschreiben Dikpati und ihr Team das Geschehen.
Triebkraft für diese polare Konzentration sind Rossby-Wellen im Sonnenplasma, großräumige Plasmawellen, die durch die Interaktion der Sonnenrotation mit dem Plasma entstehen. Diese großräumigen Wellen beeinflussen dadurch wahrscheinlich auch die Form und Abstände der polaren Sonnenwirbel, wie die Forschenden erklären.
Schwächeres Magnetfeld, mehr Wirbel
Doch wie viele Wirbel sich im polaren Sonnenplasma bilden und wie sie sich entwickeln, hängt vom jeweiligen Sonnenzyklus ab: Ist er eher durchschnittlich und das Magnetfeld schwächer, entsteht ein regelmäßiger Kranz aus ausgeprägten Wirbeln. In der Simulation blieben von diesen acht gegenläufigen Wirbeln dann nahe am Sonnenpol noch zwei Plasmawirbel übrig. Diese waren dafür deutlich ausgeprägt.
Sind Sonnenzyklus und Magnetfeld hingegen stärker, ist die Zahl der Polarwirbel geringer und sie sind weniger geordnet. Nach ihrer Polwanderung schrumpfen sie auf zwei bis vier unregelmäßige Wirbel zusammen. „Die Form und Bildung der Polarwirbel hängt demnach entscheidend von der Stärke des driftenden Hintergrund-Magnetfelds ab“, konstatieren Dikpati und ihre Kollegen. Dabei scheinen schwächere Magnetfelder die Bildung der Wirbel zu begünstigen.
Solares Maximum löscht Polarwirbel aus
Und noch ein wichtiges Resultat gibt es: Die Polarwirbel der Sone verschwinden, sobald der Sonnenzyklus sein Maximum erreicht – vermutlich wegen der Umpolung des solaren Magnetfelds. Würde man daher momentan auf die Sonnenpole blicken können, wären dort kein Wirbel zu sehen. Das bedeutet auch, dass künftige Missionen zur Untersuchung der solaren Pole zeitlich daran angepasst werden müssten. „Man würde sonst eine Sonnenmission starten, die die solaren Pole komplett zur falschen Zeit beobachtet“, erklärt Dikpatis Kollege Scott McIntosh.
Davon betroffen ist auch die ESA-Sonnensonde Solar Orbiter. Sie umkreist die Sonne zurzeit in stark elliptischen, immer stärker geneigten Orbits. An ihrem sonnennächsten Punkt wird die Sonde dann in einer um 24 Grad gegen den Sonnenäquator geneigten Umlaufbahn kreisen. Dies könnte Wissenschaftlern einen ersten, wenn auch schrägen Blick auf die Polarregionen der Sonne ermöglichen. Allerdings: Die „polare „Phase des Solar Orbiter beginnt im Dezember 2026 – und damit wahrscheinlich noch in den Ausläufern des aktuellen solaren Maximums.
Künftige Missionen zur Erkundung der Sonnenpole sollten daher ihr Timing unbedingt an den Sonnenzyklus anpassen, sagen Dikpati und ihr Team. Gleichzeitig wären solche Missionen wichtig, um die Ergebnisse der Simulation zu überprüfen und um viele noch offene Fragen zu klären. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2415157121)
Quelle: National Center for Atmospheric Research/University Corporation for Atmospheric Research