Das neue Jahr steht ganz im Zeichen des Mondes: Gut ein halbes Dutzend Raumsonden soll 2022 auf dem Erdtrabanten landen, auch ein erster noch unbemannter Artemis-Testflug der NASA ist geplant. In der Teilchenphysik lässt hingegen die neue Laufzeit des Large Hadron Collider (LHC) am CERN auf neue Durchbrüche hoffen und eine neue „Elementfabrik“ könnte neue Einblicke in den Atomkern eröffnen. In der Medizin bleibt der Kampf gegen das Coronavirus wichtigstes Thema.
Was wird das neue Jahr der Wissenschaft an neuen Erkenntnissen und Durchbrüchen bringen? Klar scheint, dass auch 2022 weiterhin um Zeichen der Corona-Pandemie stehen wird. Nach dem Auftauchen der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 wird es zum einen darum gehen, Impfstoffe anzupassen und schwere Folgen von Infektionen zu vermeiden. Aber auch die Frage, ob und wo die nächsten Varianten entstehen könnten und wann das Virus endemisch und damit ungefährlicher wird, ist noch offen.
Neue Impfstoffe gegen Covid-19
Parallel zu diesen virologischen und epidemiologischen Forschungsfragen geht die Entwicklung neuer Impfstoffe gegen das Coronavirus weiter. Darunter sind neue Versionen der erfolgreichen mRNA-Vakzinen, aber auch Impfstoffe, die auf anderen Prinzipien beruhen. Neben klassischen Totimpfstoffen gehören dazu proteinbasierte Vakzine wie Novavax, die Teile des viralen Spike-Proteins zusammen mit immunstimulierenden Adjuvantien enthalten. Novavax ist seit Dezember 2021 in der EU zugelassen.
Ebenfalls vor Covid-19 schützen sollen neue DNA-Vakzinen wie das in Indien schon zugelassene ZyCoV-D. Diese enthalten einen ringförmigen DNA-Strang, der die Bauanleitung für das Spike-Protein des Coronavirus enthält. Anders als bei mRNA-Vakzinen muss diese DNA in den menschlichen Zellkern aufgenommen und dort von der zelleigenen Maschinerie in mRNA umgewandelt werden. Diese wird dann im Zellplasma ausgelesen und zur Produktion des Spike-Proteins genutzt.
Protein- und DNA-Impfstoffe sind einfacher herzustellen und müssen weniger stark gekühlt werden als die mRNA-Vakzinen. Daher könnten sie vor allem in ärmeren Ländern mit schlechter medizinischer Infrastruktur zum Einsatz kommen.
Mond, Mond, Mond
In der Raumfahrt ist 2022 das Jahr des Mondes: In diesem Jahr wird der Erdtrabant so viel Besuch erhalten wie nie zuvor. Mindestens sechs unbemannte Sonden staatlicher Raumfahrtbehörden werden auf dem Mond landen – drei im Auftrag der NASA, dazu jeweils eine Landesonde aus China, Japan und Russland. Dazu kommt eine private japanische Landesonde, die einen Rover der Vereinten Arabischen Emirate auf der Mondoberfläche absetzen soll.
Die NASA wird im März 2022 den ersten Testflug für ihre bemannte Rückkehr zum Mond im Rahmen der Artemis-Mission starten. Bei dem ursprünglich für 2020 geplanten Flug Artemis-1 wird erstmals das Space Launch System (SLS) als Trägerrakete dienen und die noch mit Dummys besetzte Raumkapsel in einem Rundflug einmal um den Mond und zurück bringen. Dabei wird die Raumkapsel auch das Einschwenken in einen lunaren Orbit testen.
Erster Orbitalflug des Starship und die Exomars-Mission
Über den Mond hinaus zielen hingegen zwei weitere Raumfahrt-Missionen des Jahres 2022. Dazu gehört der erste orbitale Flug des von SpaceX entwickelten Starship – der größten Rakete in der Geschichte der Raumfahrt. Der 120 Meter lange Bolide kann samt Astronauten eine Nutzlast von 100 Tonnen und 1.000 Kubikmeter Volumen über den Erdorbit hinaus und bis zum Mond oder Mars bringen. Dies könnte ganz neue Möglichkeiten eröffnen, Menschen und Material auf unsere Nachbar-Himmelskörper zu transportieren.
Hinzu kommt, dass sowohl die Super-Heavy-Trägerrakete des Ensembles als auch das auf ihr sitzende Raumschiff – das eigentliche Starship – wiederverwendbar sind. Das Starship kann nach Angaben von SpaceX-Chef Elon Musk sogar im Orbit wiederaufgetankt werden. Nach ersten suborbitalen Tests in den Jahren 2020 und 2021 sollte der erste Orbitalflug des Starship ursprünglich schon im Januar 2022 stattfinden, musste aber aufgrund von verzögerten Genehmigungsverfahren durch die US-Behörden auf März oder April 2022 verschoben werden.
Zum Mars wird im September 2022 die russisch-europäische Landesonde ExoMars starten. Die ebenfalls mehrfach verschobene Mission soll den ersten europäischen Marsrover „Rosalind Franklin“ auf den Roten Planeten bringen. Zusammen mit dem bereits seit 2016 um den Mars kreisenden Trace Gas Orbiter soll der ESA-Rover nach Spuren vergangenen Lebens auf dem Mars suchen.
Teilchenphysik: Dritte Laufzeit des LHC beginnt
Auch in der Teilchenphysik könnte sich 2022 einiges tun. Denn nach einer zweiten langen Umbauphase, dem Long Shutdown 2, wird im Frühjahr der größte Teilchenbeschleuniger der Welt seine dritte Laufzeit beginnen. Dafür wurden die supraleitenden Magneten des Large Hadron Collider (LHC) optimiert und seine vier großen Experimente mit noch leistungsfähigeren Detektoren ausgerüstet.
Nachdem der Beschleuniger in der zweiten Laufzeit zwar einige potenzielle Hinweise auf neue Teilchen oder Kräfte ergeben hat, aber keine definitiven Nachweise, erhoffen sich Physiker von der dritten Laufzeit definitivere Ergebnisse. Ermöglichen könnten dies die dann mit der noch höheren Energie von 13,6 Teraelektronenvolt stattfindenden Protonenkollisionen sowie die höhere Zahl von Kollisionen pro Zeiteinheit.
Kernphysik: Neue Isotopen-„Fabrik“
Neue Einblicke in die Natur chemischer Elemente und Isotope wird hingegen die 2022 in den USA in Betrieb gehende Facility for Rare Isotope Beams (FRIB) in den USA geben. In diesem Linearbeschleuniger können verschiedenste Atomkerne mit hoher Beschleunigung und Energie auf Zielmaterialien geschossen werden – dabei sollen neue Isotope und Elemente entstehen.
Wichtig ist dies, weil von den rund 8.000 theoretisch für die bekannten Elemente vorhergesagten Isotopen bisher nur rund 3.300 nachgewiesen oder künstlich erzeugt worden sind. Das Verhalten solcher exotischer, meist kurzlebiger Isotope kann jedoch viel über die Kräfte und Wechselwirkungen im Inneren des Atomkerns verraten. „Wir werden einen Blick in unerforschtes Terrain werfen können“, sagt Brad Sherrill, wissenschaftlicher Direktor des FRIB.
Quelle: Science, Nature, NASA, FRIB, CERN