Forscher haben herausgefunden, wie der Plutomond Charon seine auffallend rote Polkappe bekam. Für diesen komplexen Prozess sind demnach der Zwergplanet Pluto, die Jahreszeiten sowie kosmische UV-Strahlung und der Sonnenwind nötig. In zwei Etappen wirken diese Komponenten zusammen, um erst Methan in Ethan und dann in komplexere rötliche Tholin-Moleküle umzuwandeln. Gleichzeitig enthüllt die Studie, dass Herbst und Frühjahr auf dem Plutomond eine überraschend dynamische Umverteilung von Stoffen mit sich bringen.
Der Zwergplanet Pluto und sein großer Mond Charon waren lange die großen Unbekannten im Sonnensystem, den selbst in den leistungsstärksten Teleskopen erschienen sie nur als winzige, unscharfe Flecken. Erst der Besuch der NASA-Raumsonde New Horizons im Jahr 2015 enthüllte überraschende Details zum fernen Zwergplaneten und seinem fast gleichgroßen, nahen Mond. Darunter war auch eine auffallend rotgefärbte Polkappe auf dem Charon: Fast der gesamte Bereich jenseits des 70. nördlichen Breitengrads ist von rötlichen Ablagerungen bedeckt.
Woher kommt die rote Farbe?
Die rötliche Farbe der polaren Ablagerungen ließ Planetenforscher vermuten, dass es sich hierbei um Tholine handeln könnte – organische Moleküle, die beim photochemischen Abbau von Kohlenwasserstoffen wie Methan und Ethan durch ultraviolette Strahlung gebildet werden. Solche Tholine verleihen unter anderem der dichten Atmosphäre des Saturnmonds Titan ihre orangerote Färbung.
Das Problem nur: Charon besitzt anders als sein Nachbar Pluto so gut wie keine Atmosphäre – und auch kaum Methan. 2016 fanden Planetenforscher jedoch heraus, dass Pluto seinem Mond diesen Rohstoff liefert: Durch Ausgasung verliert der Zwergplanet ständig Methan an den Weltraum, der dann in Teilen in das Schwerefeld des Charon gerät und dort auf dessen Nachtseite ausfriert. Dort, so glaubte man, wird das Methaneis dann unter Einfluss von ultravioletter Strahlung in Tholine umgewandelt.
Charons Chemie auf die Erde geholt
Doch ganz so simpel ist es nicht, wie nun Forschende unter Leitung von Kurt Retherford vom Southwest Research Institute in Texas festgestellt haben. Für ihre Studie haben sie die Oberflächenbedingungen auf Charon in einer speziellen Vakuumkammer und in einer Computersimulation nachgebildet. So konnten sie nachvollziehen, was unter dem Einfluss der Jahreszeiten, der diffusen UV-Strahlung interplanetarer Wasserstoffmoleküle und dem Sonnenwind mit dem Methan auf der Mondoberfläche passiert.
Die Versuche enthüllten: Anders als gedacht gefriert das vom Pluto kommende Methan nicht gleichmäßig und langsam am Charon-Nordpol aus. Stattdessen kommt es während der kurzen Übergänge zwischen Sommer und Winter zu einer umfassenden Umverteilung des Methans. In dieser weniger als ein Jahr dauernden Zeit bildet sich eine temporäre, dünne Methan-Atmosphäre um den Plutomond, die anschließend über der nun dunklen Nordpolarregion wieder ausfriert.
Polarwinter: Vom Methan zum Ethan
„Diese drastischen saisonalen Schübe in der dünnen Atmosphäre des Charon sind entscheidend, um die Entstehung von Charons roter Polarzone zu verstehen“, sagt Retherfords Kollege Ujjwal Raut. Denn die Versuche enthüllten, dass sich dabei in kurzer Zeit eine mehrere Dutzend Mikrometer dicke Schicht Methaneis am Nordpol ablagert. Damit ist diese Schicht jedoch zu dick und wächst zu schnell, um während des Nordwinters durch die diffuse kosmische UV-Strahlung in Tholin umgewandelt zu werden.
Der Grund: Noch bevor dieser mehrschrittige chemische Prozess ablaufen kann, wird die oberste Schicht schon wieder von neuem Methan überdeckt und damit dem Einfluss der Strahlung entzogen, wie das Team erklärt. Stattdessen legen ihre Experimente und Modelle nahe, dass das Methaneis während des dunklen, mehr als 100 Jahre dauernden Polarwinters zunächst in Ethan umgewandelt wird. Dieser Kohlenwasserstoff reichert sich dabei vor allem in der obersten Schicht des Methaneises an.
Polarsommer: Vom Ethan zu Tholinen
Erst danach folgt der entscheidende Schritt zur Bildung der roten Tholine: Er findet entgegen bisheriger Annahme erst dann statt¸ wenn das Nordpolargebiet des Charon wieder von der Sonne beleuchtet wird. Das verbliebene Methan gast dann wieder aus, nicht aber das Ethan: „Ethan ist weniger flüchtig als Methan und bleibt daher auch lange nach dem Frühlings-Sonnenaufgang auf der Charon-Oberfläche gefroren“, erklärt Raut.
Dadurch gerät das Ethaneis nun unter den Einfluss der geladenen Teilchen des Sonnenwinds – und diese setzen die weiteren chemischen Umwandlungen in Gang: „Während der rund 30 Jahre des Polarsommers kann der Sonnenwind das zuvor von der Lyman-Alpha-Strahlung erzeugte Ethaneis zur Reaktion bringen und die komplexen Molekülstrukturen erzeugen, die die rote Farbe hervorrufen“, erklären die Forscher.
Umwandlung in zwei Etappen
Die rote Polkappe des Plutomonds Charon ist demnach das Produkt von zwei Umwandlungsschritten, die zu unterschiedlichen Zeiten ablaufen, wie Retherford und sein Team herausgefunden haben. Im Herbst und Winter gefriert Methan aus und lagert sich am Charon-Nordpol ab. Durch die ultraviolette Streustrahlung aus dem All wandelt sich ein Teil dieses Methans in das beständigere Ethan um.
Sobald dann das Polargebiet wieder von der Sonne bestrahlt wird, sorgt die Kombination von Erwärmung und Sonnenwind dafür, dass das Ethan zu Tholinen weiterreagiert, während das verbliebene Methaneis ausgast. Ein ähnlicher Prozess könnte nach Ansicht der Forschenden auch auf anderen eisigen, methanreichen Himmelskörpern stattfinden. (Geophysical Research Letters, 2022, doi: 10.1029/2021GL097580; Science Advances, 2022, doi: 10.1126/sciadv.abq5701)
Quelle: Southwest Research Institute