Astronomie

Das Universum dehnt sich „zu schnell“ aus

James-Webb-Teleskop bestätigt Diskrepanzen zum kosmologischen Standardmodell

kosmische Ausdehnung
Das Universum dehnt sich schneller als aus es dem kosmologischen Standardmodell nach dürfte. Aber was steckt dahinter? © NASA/ Goddard Space Flight Center

Die kosmische Expansion verläuft schneller als sie dem Standardmodell nach dürfte. Das hat nun eine Überprüfung der Messungen mit dem James-Webb-Teleskop bestätigt. Demnach liegt die Hubble-Konstante – ein Maß für die kosmische Expansionsrate – signifikant höher als der mit dem kosmologischen Standardmodell erklärbare Wert. Diese Abweichung zeigt sich sowohl bei Supernovae als auch bei veränderlichen Sternen, Roten Riesen und kohlenstoffreichen Riesensternen. Doch was dahintersteckt, ist weiterhin offen.

Seit dem Urknall dehnt sich das Universum rasant aus und diese kosmische Expansion beschleunigt sich zudem, wie Astronomen in den 1990er Jahren erkannten. Als mögliche Triebkraft dafür gilt die Dunkle Energie – eine bisher unbekannte Kraft, die der anziehenden Wirkung der Gravitation entgegenwirkt. Doch wie schnell sich der Kosmos aktuell ausdehnt, ist strittig – und damit auch der Wert der Hubble-Konstante H0 – einer der Grundpfeiler unseres kosmologischen Standardmodells.

Dem Standardmodell zufolge müsste die Hubble-Konstante – und damit die Expansionsrate des Kosmos – bei rund 67 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec liegen. Doch astronomische Messungen anhand von Supernovae, Gravitationslinsen, veränderlichen Sternen (Cepheiden) oder Roten Riesen liefern einen signifikant höheren Wert von im Mittel 73 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec.

Galaxie NGC 4258
NGC 4258, auch Messier 106 genannt, ist eine der Galaxien, deren Entfernung die Astronomen jetzt überprüft haben.© ESA/NASA/ CSA, J. Glenn, KPNO/NOIRLab/NSF/AURA, the Hubble Heritage Team (STScI/AURA), R. Gendler, M.T. Patterso, T.A. Rector, D. de Martin & M. Zamani

James-Webb-Teleskop überprüft Entfernungsdaten

Jetzt liefert das James-Webb-Weltraumteleskop neue Daten zur Hubble-Konstante und kosmischen Expansion. „Die Fähigkeiten des Webb-Teleskops bieten uns die Möglichkeit, zusätzliche Überprüfungen durchzuführen, indem wir die mit ihm gemessenen Entfernungen mit denen des Hubble-Teleskops vergleichen“, erklären die Astronomen um den Nobelpreisträger Adam Riess von der Johns Hopkins University in Baltimore. Der Datensatz des Hubble-Teleskops umfasst Entfernungen von hunderten Cepheiden sowie 42 Supernovae in 37 Galaxien.

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Riess und sein Team haben nun Messdaten des Webb-Teleskops der letzten zwei Jahre ausgewertet und die Entfernungen von 16 Supernovae sowie von Cepheiden, Roten Riesen und einer Klasse von kohlenstoffreichen Riesensternen gemessen. Letztere gelten ebenfalls als gute Entfernungsmarker. „Die Webb-Daten verbessern das Signal-zu-Rausch-Verhältnis erheblich und zeigen uns das Universum gewissermaßen in HD“, erklärt Riess‘ Kollege Siyang Li.

Abweichung bleibt

Die Auswertung ergab: Die Diskrepanz in der Hubble-Konstante tritt auch bei diesem bislang umfangreichsten Datensatz des James-Webb-Teleskops auf. Alle kosmischen Entfernungsmarker ergaben jeweils Hubble-Konstanten zwischen 72,1 und 73,4. „Das für alle Methoden zusammenfasste Ergebnis des James-Webb-Teleskops liegt damit bei 72,6 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec“, berichten Riess und sein Team. Dieser Wert bestätigt die früheren Messungen und zeigt, dass die Abweichungen zum Standardmodell demnach nicht auf Messunsicherheiten oder Fehlern des Hubble-Teleskops beruhen können.

„Die Diskrepanz zwischen der beobachteten Expansionsrate des Universums und den Vorhersagen des Standardmodells deutet darauf hin, dass unser Verständnis des Universums unvollständig sein könnte“, sagt Riess. „Mit zwei NASA-Flaggschiff-Teleskopen, die ihre Resultate gegenseitig bestätigen, müssen wir das Problem der Abweichungen in der Hubble-Konstante sehr ernst nehmen – es ist eine Herausforderung, aber auch eine unglaubliche Chance, mehr über unser Universum zu lernen.“

Was steckt dahinter?

Doch bisher ist unklar, wodurch die Abweichungen hervorgerufen werden und wo die Lücken des kosmologischen Standardmodells liegen. „Eine mögliche Erklärung für die Hubble-Spannung wäre, dass in unserem Verständnis des frühen Universums etwas fehlt, beispielsweise eine neue Komponente, die dem Universum nach dem Urknall einen unerwarteten Impuls gegeben hat“, erklärt der nicht an der Studie beteiligte Kosmologie Marc Kamionkowski von der Johns Hopkins University.

Denkbar wäre auch, dass die Dunkle Energie sich verändert – beispielsweise indem sie heute dichter oder stärker ist als im frühen Kosmos. Mögliche Hinweise darauf lieferte Anfang der Dark Energy Survey (DES). „Es gibt aber auch andere Ideen, wie noch unerkannte Eigenschaften der Dunklen Materie, exotische Teilchen, sich ändernde Elektronenmassen oder primordiale Magnetfelder, die das Problem lösen könnten“, sagt Kamionkowski. „Theoretiker können hier sehr kreativ sein.“ (The Astrophysical Journal, 2024; doi: 10.3847/1538-4357/ad8c21)

Quelle: Johns Hopkins University, The Astrophysical Journal

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