Abbremsen durch planetare Anziehung: Die europäisch-japanische Raumsonde BepiColombo wird heute Abend ihren dritten nahen Vorbeiflug am Merkur absolvieren. Dabei kommt die Sonde der Merkur-Oberfläche bis auf 236 Kilometer nahe und bremst ihren Flug durch den Schwerkrafteinfluss des Planeten weiter ab. Gleichzeitig bietet das Flyby-Manöver eine Chance, einige wissenschaftliche Instrumente zu testen und Vergleichsdaten zur früheren NASA-Merkurmission Messenger zu sammeln.
Die 2018 gestartete europäisch-japanische Merkurmission BepiColombo folgt auf ihrem Weg zum innersten Planeten einer komplizierten, von vielen Schleifen und neun Flyby-Manövern gekennzeichneten Route. Der Grund: Weil der Merkur der Sonne so nahe ist, beschleunigt die solare Anziehungskraft jedes Objekt in seiner Nähe zu stark, um in einem Orbit einschwenken zu können. Die Sonde muss daher mehrfach die Schwerkraft von Planeten zum Abbremsen nutzen. Fünf dieser nahen Vorbeiflüge hat BepiColombo schon erfolgreich absolviert: einen an der Erde, zwei an Venus und zwei an Merkur.
In 236 Kilometer Höhe über die Planetenoberfläche hinweg
Jetzt steht der dritte nahe Vorbeiflug am Merkur an: Heute Abend gegen 21:30 Uhr unserer Zeit wird die Raumsonde in nur 236 Kilometer Höhe über die Oberfläche des innersten Planeten hinwegfliegen. „Wenn BepiColombo in das Schwerkraftfeld des Merkur eintritt, wird er in Bezug auf den Planeten rund 3,6 Kilometer pro Sekunde schnell sein“, erklärt Flugdynamikexperte Frank Budnik von der europäischen Raumfahrtorganisation ESA. „Das ist nur etwas mehr als das halbe Tempo, mit der die Sonde die letzten beiden Vorbeiflüge durchführte.“
Unter dem Einfluss der Merkur-Anziehung wird sich BepiColombo beim Anflug auf den Planeten zunächst bis auf 5,4 Kilometer pro Sekunde beschleunigen. Wenn sich die Raumsonde nach ihrer nächsten Annäherung jedoch wieder vom Planeten entfernt, verliert sie Energie, wird um 2,6 Grad abgelenkt und in Bezug auf die Sonne 0,8 Kilometer pro Sekunde langsamer. „Und genau das ist der Knackpunkt eines solchen Flybys“, erklärt Budnik. „Um vom Merkur eingefangen werden zu können, müssen wir erst abbremsen und wir nutzen die Schwerkraft von Erde, Venus und Merkur, um dies zu erreichen.“
Blick auf die Nachtseite des Merkur
Heute Abend, zum Zeitpunkt der größten Annäherung bei diesem Flyby, wird BepiColombo über die Nachtseite des Merkur hinwegfliegen. Die Planetenoberfläche liegt daher zu diesem Zeitpunkt in tiefem Dunkel. Aber rund 13 Minuten nach der Passage geraten die Tag-Nacht-Grenze und die beleuchtete Seite des Planeten ins Blickfeld der Raumsonde. Sie wird dann mit ihren Monitoring-Cameras mehrere Aufnahmen aus rund 1.840 Kilometer Entfernung machen. Die hochauflösende Wissenschaftskamera der Mission ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht aktiv.
Während des Vorbeiflugs werden auch einige wissenschaftliche Instrumente schon aktiv sein, Tests durchführen und erste Daten sammeln. Dazu gehören unter anderem das Ionenspektrometer PICAM sowie zwei Magnetometer. „Ähnlich wie bei den ersten beiden Vorbeiflügen wird BepiColombo die südliche Hemisphäre des Planeten vermessen und uns erneut einen spannenden Einblick in die Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind und dem schwachen Magnetfeld des Planeten geben“, erklärt Daniel Schmid vom Institut für Weltraumforschung in Graz.
Ebenfalls aktiv sind das Mercury Orbiter Radio-science Experiment (MORE) und das Laser-Altimeter (BELA). „Daten während der Flybys zu sammeln, ist für den Test der Instrumente sehr wichtig“, erklärt ESA-Projektwissenschaftler Johannes Benkhoff. „Außerdem bietet es uns die Chance, unsere Daten mit denen der Messenger-Mission zu vergleichen, die von 2011 bis 2015 den Merkur umkreist hat.“
Erste Merkursonde mit solarem Ionenantrieb
Gegenüber ihren Vorgängern, den NASA-Sonden Mariner-10 und Messenger hat BepiColombo aber eine Besonderheit: Sie ist die erste Raumsonde, die mithilfe eines Ionenantriebs zum Merkur fliegt. Sie nutzt Strom aus ihren großen Solarpanelen, um das als Treibstoff dienende Xenongas zu ionisieren. Die Xenon-Ionen werden dann mithilfe von elektromagnetischen Feldern auf 50.000 Meter pro Sekunde beschleunigt und über Düsen ausgestoßen. Solche Antriebe wurden bei Flügen ins äußere Sonnensystem bereits genutzt, nicht aber bei Merkurmissionen.
„Dieses Antriebssystem verwandelt den Solarstrom der 15 Meter langen Sonnensegel in Schub“, erklärt ESA-Ingenieur Neil Wallace. Allerdings ist der Schub solcher Ionentriebwerke deutlich geringer als der klassischer chemischer Antriebsdüsen: „Bei voller Leistung entspricht der Schub gerade einmal dem Gewicht von drei Ein-Euro-Münzen, deshalb müssen die Ionentriebwerke entsprechend länger laufen, um effektiv zu sein“, so Wallace. „Aber dann ermöglichen sie Manöver und Nutzlasten, die sonst kaum möglich wären.“
Einschwenken in den Merkur-Orbit erst 2025
Nach dem aktuellen Flyby wird BepiColombo seinen Ionenantrieb verstärkt nutzen, um damit in sogenannten „Schub-Bögen“ weiter abzubremsen. Diese Phasen aktiven Bremsens werden je nach Bahnposition jeweils zwischen einigen Tagen und zwei Monaten dauern. Erst im Jahr 2025 und nach drei weiteren Flyby-Manövern wird BepiColombo soweit abgebremst sein, dass die Sonde in den Merkur-Orbit einschwenken kann. Dort werden sich dann die beiden gemeinsam gereisten Teilsonden, eine europäische und eine japanische, trennen und den Planeten auf jeweils eigenen Bahnen umkreisen.
Quelle: European Space Agency (ESA), Österreichische Akademie der Wissenschaften