Anhaltendes Mysterium: Warum dehnt sich das Universum immer schneller aus? Ist Einsteins Vorstellung der Gravitation womöglich falsch oder unvollständig? Das haben Astronomen nun mithilfe von 100 Millionen Galaxien für sechs alternative Theorien untersucht – Modellen, die Einsteins Beschreibung der Gravitation abwandeln oder um noch unerkannte Teilchen ergänzen. Das Ergebnis: Einstein und das gängige kosmologische Modell behalten Recht – zumindest vorerst.
Es ist eines der größten Rätsel der modernen Kosmologie: Unser Universum dehnt sich immer schneller aus, weil irgendetwas der Gravitation entgegenzuwirken scheint. Als möglicher Kandidat dafür gilt die Dunkle Energie, doch ob sie existiert und woraus sie besteht, ist ungeklärt. Es gibt aber auch einige Theorien, die den Grund für die beschleunigte Expansion in noch unentdeckten Teilchen sehen oder ihn sogar bei der Gravitation selbst suchen. Anders als Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie postulieren diese alternativen Theorien, dass die Gravitation sich je nach Materiedichte, Größenordnung oder Zeitraum ändert.
Gravitationslinsen als Testwerkzeug
Den bisher umfassendsten Test von gleich sechs solcher alternativer Theorien hat nun das internationale Forschungskollektiv des Dark Energy Survey (DES) durchgeführt. Dafür nutzen die Forschenden DES-Messdaten zu mehr als 100 Millionen Galaxien, die in den letzten drei Jahren von der Dark Energy Camera am Vier-Meter-Teleskop des Cerro Tololo Inter-American Observatory in Chile untersucht wurden. Allen diesen Galaxien ist gemeinsam, dass sie Teil von Gravitationslinsen sind.
Bei diesem Phänomen verzerrt eine Vordergrundgalaxie das Licht einer weiter entfernten Hintergrundgalaxie. Das Ausmaß der Verzerrung gibt Aufschluss darüber, wie stark die Gravitation der Vordergrundgalaxie auf das Licht wirkt. Im ersten Schritt ihrer Studie nutzten die Astronomen diesen Gravitationslinseneffekt, um zu prüfen, ob ferne Linsengalaxien den gleichen Schwerkrafteffekt haben wie nahe. Daraus lässt sich ableiten, ob die Gravitation zu verschiedenen Zeiten ähnlich stark wirkte.
Alternative Theorien passen nicht
Im nächsten Schritt testeten die Wissenschaftler, ob das gängige kosmologische Modell – das sogenannte ΛCDM-Modell – zu den beobachteten Daten passt. Auf gleiche Weise testeten sie dann die „Passform“ der sechs alternativen Theorien. Zu diesen gehörten eine zeitabhängige Gravitationsgleichung, eine nichtflache Raumkrümmung, zusätzliche relativistische Freiheitsgrade, sterile Neutrinos, Modifikationen der Gravitationsphysik und veränderliche Wachstumsraten kosmischer Strukturen.
Das Ergebnis: „Unsere Analyse zeigt keine signifikanten Abweichungen vom ΛCDM-Modell“, berichtet das Team. Demnach gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich Stärke oder Verhalten der Gravitation zwischen entfernten und nahen Galaxien unterscheidet. Sie blieb auch bezogen auf verschiedene Größenordnungen konstant. Zu hypothetischen, die Gravitation beeinflussenden Teilchen wie den sterilen Neutrinos, passten die Beobachtungsdaten ebenfalls nicht. Zudem bestätigten sie die Flachheit der Raumkrümmung.
Mysterium bleibt
„Letztlich finden wir keine signifikanten Präferenzen für irgendeines der in unserer Analyse untersuchten alternativen Modelle“, konstatieren die Wissenschaftler. „Das gängige kosmologische ΛCDM-Modell bleibt das für die Beschreibung unserer Messdaten favorisierte Modell.“ Auch in einer zusätzlichen Überprüfung anhand von Daten der Planck-Mission zur kosmischen Hintergrundstrahlung sowie Messdaten zu Supernovae und der Galaxienverteilung erbrachten das gleiche Ergebnis.
Das bedeutet: Noch immer scheint die Dunkle Energie die bisher beste Erklärung für die kosmische Expansion zu bieten – obwohl ihre Existenz nicht bewiesen und vollkommen rätselhaft ist. Im Grunde ist sie bisher nicht mehr als ein Begriff, der die kosmologische Konstante in Einsteins Feldgleichungen umschreibt. „Natürlich bleibt trotzdem noch Raum, um die Einsteins Gravitations-Theorie herauszufordern“, erklärt Koautorin Agnès Ferté vom Jet Propulsion Laboratory der NASA.
„Es ist daher essenziell, bei der Lösung dieses Problems mit Forschenden in aller Welt zu kooperieren, wie wir es auch im Dark Energy Survey getan haben“, so Ferté weiter. (International Conference on Particle Physics and Cosmology (COSMO’22); Preprint: arXiv:2207.05766)
Quelle: NASA/ Jet Propulsion Laboratory