Astronomie

Dunkle Materie: Haben wir was übersehen?

Astronomen entdecken starke Abweichung zwischen Beobachtungen und Modellen

Galaxienhaufen
In Galaxienhaufen wie diesem haben Astronomen merkwürdige Diskrepanzen in Menge und Verhalten der Dunklen Materie entdeckt. © NASA, ESA, G. Caminha (University of Groningen), M. Meneghetti (Observatory of Astrophysics and Space Science of Bologna), P. Natarajan (Yale University), the CLASH team, and M. Kornmesser (ESA/Hubble)

Unerklärliche Diskrepanz: Im Zentrum von Galaxienhaufen scheint es zehnmal mehr Dunkle Materie zu geben als erwartet – oder sie verhält sich anders als sie dürfte. Denn Beobachtungen zufolge verzerrt die Dunkle Materie in den zentralen Galaxien dieser Haufen das Licht stärker als es die gängige Theorie vorhersagt. Dies könnte auf eine „fehlende Zutat“ in unserer Sicht der Dunklen Materie hindeuten, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.

Ob als intergalaktischer Strom, als „Klumpen“ in unserer Milchstraße oder sogar in unserem Sonnensystem – im Kosmos gibt es weit mehr Dunkle Materie als normale. Dennoch wissen wir kaum etwas über sie. So ist unbekannt, aus welchen Teilchen diese exotischen Materieform besteht, und auch, wie sie entstand. Selbst ihre Verteilung und Eigenschaften sind bislang erst in Teilen geklärt.

Linseneffekte
Gravitationslinsen-Effekte im Galaxienhaufen MACS J1206.© NASA, ESA, P. Natarajan (Yale University), G. Caminha (University of Groningen), M. Meneghetti (INAF-Observatory of Astrophysics and Space Science of Bologna), the CLASH-VLT/Zooming teams; M. Postman (STScI)

Gravitationslinsen als Dunkle-Materie-Anzeiger

Jetzt gibt die Dunkle Materie ein neues Rätsel auf. Denn sie verhält sich anders, als es die gängigen Modelle vorhersagen, wie Massimo Meneghetti vom Nationalen Observatorium für Astrophysik in Bologna und sein Team festgestellt haben. Für ihre Studie hatten sie mithilfe des Weltraumteleskops Hubble und des Very Large Telescope (VLT) der ESO in Chile die schwerkraftbedingte Verzerrung von Hintergrundlicht durch elf Galaxienhaufen näher untersucht.

Dieser sogenannte Gravitationslinsen-Effekt beruht zum großen Teil auf der Schwerkraftwirkung der Dunklen Materie in diesen Galaxien. Aus der Intensität und Form der Verzerrung lässt sich daher schließen, wie viel Masse in Form Dunkler Materie in einem solchen Galaxienhaufen vorliegt und wie sie verteilt ist. „Galaxienhaufen sind ideale Laboratorien, um zu verstehen, ob Computersimulationen korrekt wiedergeben, wie Dunkle Materie mit normaler Materie interagiert“, sagt Meneghetti.

Abweichung um den Faktor zehn

Doch das scheint nicht der Fall zu sein, wie die aktuellen Beobachtungen zeigen. Denn die Galaxien im Zentrum der untersuchten Cluster verzerren das Hintergrundlicht etwa zehnmal stärker, als es die Modelle vorhersagen. Im Verhältnis zu ihrer Masse scheinen diese Galaxien dichtere Ansammlungen der Dunklen Materie zu enthalten als es dort geben dürfte. „Wir haben die Daten und Simulationen sorgfältig getestet und trotzdem bleibt diese Diskrepanz bestehen“, berichtet Meneghetti.

„Eine solche klaffende Lücke zwischen Beobachtung und Modell zu entdecken – in diesem Fall eine Abweichung um den Faktor zehn – ist sehr aufregend“, erklärt Koautor Priyamvada Natarajan von der Yale University. „Solche Lücken und Anomalien können zeigen, dass in unseren Theorien etwas fehlt, das wir übersehen haben – oder es zeigt den Weg zu einem ganz neuen Modell.“

„Entscheidende Lücke in den Modellen“

Nach Ansicht der Forscher könnte die jetzt entdeckte Diskrepanz ein Indiz dafür sein, dass ihnen noch ein entscheidendes Puzzlestück im Verständnis der Dunklen Materie fehlt – beispielsweise eine Eigenschaft, die bislang in den Modellen nicht oder nicht richtig erfasst ist. „Eine mögliche Ursache für diese Abweichung könnte sein, dass in unseren Simulationen einige entscheidende physikalische Aspekte fehlen“, sagt Meneghetti. Natarajan ergänzt: „Es gibt offenbar ein Merkmal im Universum, das wir in unseren aktuellen theoretischen Modellen nicht erfasst haben.“

Worin diese Lücke besteht und worin sich die Eigenschaften der Dunklen Materie von den Annahmen unterscheidet, ist jedoch noch offen. (Science, 2020; doi: 10.1126/science.aax5164)

Quelle: NASA/Goddard Space Flight Center, Yale University, ESO

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