Stecken solare Axionen dahinter?
Was aber hat dann diese rätselhaften Signale verursacht? Dazu haben jetzt fünf Physikerteams und auch die XENON1T-Forscher Hypothesen veröffentlicht – und alle sind grundverschieden. Eine mögliche Erklärung wären demnach Axionen – hypothetische Teilchen, die als leichtgewichtiger Kandidat für Dunkle-Materie-Teilchen gelten. Zwar haben die „dunklen“ Axionen eine zu geringe Masse, um die Signale zu erklären, anders ist dies aber für eine ebenfalls hypothetische Variante der Axionen, die in der Sonne und anderen Sternen entstehen könnten.
„Solche solaren Axionen hätten Energien im Kiloelektronenolt-Bereich und könnten diese an die Detektoratome übertragen haben“, sagen Elena Aprile und ihre Kollegen von der Xenon-Kollaboration. Wenn es solche Axionen aber gibt, müssten sie das thermische Verhalten von Sternen auf eine Weise beeinflussen, die astrophysikalischen Beobachtungen widerspricht.
Eine Lösung für dieses Dilemma schlagen allerdings nun Fuminobu Takahashi von der Tohoku Universität und sein Team vor. Ihrem Modell zufolge könnte es solare Axionen geben, die weniger stark mit den Photonen der Sonne und der anderen Sterne interagieren als bislang angenommen. Allerdings: Das erklärt zwar das Signal, hätte aber nichts mit Dunkler Materie zu tun.
Können Dunkle-Materie-Teilchen zerfallen?
Die Dunkle Materie als Urheber sehen dagegen andere Forschergruppen. Nach Ansicht von Bartosz Fornal von der University of Utah und seinem Team könnte das XENON1T-Signal von „beschleunigter“ Dunkler Materie (BDM) stammen. Demnach stammen die Lichtblitze von Teilchen der Dunklen Materie, die durch die gegenseitige Annihilation benachbarter Teilchen einen zusätzlichen Schub bekommen haben. „Dann könnte ein Strom beschleunigter Dunkler Materie von den Annihilationen im galaktischen Zentrum oder dem Halo ausgehen“, so die Physiker.
Demgegenüber sehen Physiker der Queen’s University eher die Wechselwirkung von einer WIMP-Variante mit Dunklen Photonen als Ursache. Sie könnte zu einem Zerfall der WIMPs in Teilchen führen, deren Energie im Kiloelektronenvolt-Bereich liegen. Auch Nicole Bell von der University of Melbourne und ihr Team gehen vom Zerfall der Teilchen aus: Ihr Kandidat, „luminöse“ Dunkle Materie, könnte durch Kollisionen in schwerere und leichtere Zustände zerfallen, von denen letztere dann die Xenon-Atome getroffen haben.
Oder sind es doch exotische Neutrinos?
Nicht die Dunkle Materie, sondern die Sonne sieht dagegen ein Team um Andreas Bally vom Max-Planck-Institut für Kernphysik als Ursache des XENON1T-Signals. Sie postulieren, dass solare Neutrinos durch Wechselwirkung mit anderen Neutrinos oder Teilchen wie dem Higgs-Boson in eine neue, nicht im Standardmodell enthaltenen Neutrinosorte umgewandelt wird. Diese könnte dann genügend Masse besitzen, um das Drei-Kiloelektronenevolt-Signal zu erzeugen.
Tatsächlich ziehen auch die Physiker der XENON-Kollaboration Neutrinos als eine der möglichen Ursachen in Betracht. Sie könnten das Signal erzeugt haben, wenn diese Neutrinos ein größeres magnetisches Moment besitzen als vom Standardmodell der Teilchenphysik vorgesehen. Mit einem Sigma von 3,2 liegt diese Hypothese ihren Berechnungen zufolge nur knapp hinter solaren Axionen, was die Wahrscheinlichkeit angeht.
Das Rätsel bleibt
Allerdings: Bisher sind alle diese Erklärungsversuche nur Hypothesen – weder für die dafür nötigen Teilchen noch für die postulierten Prozesse gibt es bislang Belege. „Die Ideen, die sich rund um dieses Ergebnis ranken zeigen, wie viel sich auf dem Gebiet der Dunklen-Materie-Forschung tut“, kommentiert Tongyan Lin von der University of California in San Diego. Doch vorerst bleibt die Dunkle Seite des Kosmos genau dies – dunkel. (Physical Review Letters, 2020; doi: 10.1103/PhysRevD.102.072004, doi: 10.1103/PhysRevLett.125.161801, doi: 10.1103/PhysRevLett.125.161805, doi: 10.1103/PhysRevLett.125.161804, doi: 10.1103/PhysRevLett.125.161803, doi: 10.1103/PhysRevLett.125.161802)
Quelle: American Physical Society
9. November 2020
- Nadja Podbregar