Die ersten umfassenden Karten unseres Sonnensystems und seiner Grenzregion zum Rest unserer Galaxie hat jetzt der NASA-Satellit „IBEX“ geliefert. Sie zeigen ein ganz neues Bild der Grenze unseres Sonnensystems und bedeuten auch, dass viele theoretische Modelle jetzt umgeschrieben werden müssen. Gleich sechs Artikel in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Science“ sind diesen neuen Ergebnissen gewidmet.
Auch wenn wir bereits zahlreiche Raumsonden ins Weltall geschickt haben – die Grenzen unseres Sonnensystems haben wir dabei so gut wie nie erreicht. Kein Wunder, ist die Distanz doch extrem: Dabei ist die Distanz extrem: mehr als 10 hoch 10 Kilometer – das entspricht dem 100fachen Abstand zwischen Erde und Sonne liegt diese Grenze entfernt. Einzig die beiden 1977 gestarteten Voyager-Sonden haben nach rund 30 Jahren Flugzeit den äußersten Bereich des Planetensystems erreicht.
Aus der Erdumlaufbahn an die Grenze des Systems
Jetzt aber hat die NASA mit dem „Interstellar Boundary Explorer“ (IBEX) eine neue Möglichkeit entwickelt, für die keine jahrzehntelange Reise zum Rand des Sonnensystems nötig ist: IBEX erkundet die Grenzschicht zwischen unserem Sonnensystem und dem interstellaren Raum von der Erdumlaufbahn aus. In dieser Grenzschicht treffen der heiße Sonnenwind und die kalte interstellare Materie, ein Gemisch aus Gas und Staub, aufeinander und vermischen sich. Dabei bildet der Sonnenwind eine schützende Blase – die Heliosphäre – welche unser Sonnensystem umgibt und vor einem Teil der kosmischen Strahlung abschirmt.
Helles Band markiert die Grenze
Mit Hilfe von zwei Sensoren, „IBEX-Hi“ und „IBEX-Lo konnte im Laufe der letzten sechs Monate die Verteilung verschiedener Partikel in der gesamten Grenzschicht kartografiert werden. Dabei wurde eine große Ansammlung von elektrisch neutralen Atomen entdeckt, die durch das Aufeinandertreffen von geladenen Teilchen im Sonnenwind und der interstellaren Materie entstehen. Diese Ansammlung neutraler Partikel zieht sich als helles Band durch fast die ganze Grenzschicht, das mit konventionellen Teleskopen nicht gesehen werden kann.
Himmelskarte der nähesten Umgebung
Damit ergibt sich ein ganz neues physikalisches Bild der Grenze unseres Sonnensystems – quasi eine Himmelskarte unserer nähesten Umgebung. „Zum ersten Mal haben wir unsere Köpfe aus der Atmosphäre der Sonne herausgestreckt und beginnen, unseren Platz in der Galaxie wirklich zu verstehen“, erklärt David J. McComas, wissenschaftlicher Leiter der IBEX-Mission und Wissenschaftler am Southwest Research Institute in San Antonio. „Die IBEX-Ergebnisse sind wirklich bemerkenswert, ein kleiner Streifen von hellen Details oder Emissionen ähnelt bereits keiner der heute gängigen theoretischen Modelle dieser Region.“
Theorien müssen modifiziert werden
In den letzten 40 Jahren gab es zur Grenzschicht unseres Sonnensystems praktisch nur Computersimulationen und Theorien, denn experimentelle Anhaltspunkte fehlten weitgehend. Auch viele Eingaben für IBEX basierten auf theoretischen Vermutungen über die dortigen physikalischen Verhältnisse. Die Messungen zeigen nun ein ganz anderes Bild. „Wir müssen unsere Annahmen massiv revidieren“, erklärt Professor Peter Wurz vom Physikalischen Institut der Universität Bern, das an der Entwicklung der Sensoren beteiligt war.
So ist auf den Himmelskarten auch das Magnetfeld der interstellaren Materie erkenntlich. Die Stärke und Richtung dieses Magnetfeldes lässt sich nun durch neue Modellrechnungen eruieren. Diese wiederum ermöglichen genaue Computersimulationen der dortigen Prozesse. „Es werden aufregende Jahre der Datenanalyse auf uns zukommen. Erstmals liegen Messungen über physikalische Vorgänge vom Rand unseres Sonnensystems vor, und wir Berner werden daran teilhaben“, freut sich Wurz.
Voyager-Sonden „übersehen“ helles Band
Die IBEX-Himmelskarten liefern auch den Kontext für die Beobachtungen der beiden Voyager-Sonden, die in diesem Gebiet unterwegs sind. Beide haben den Bereich erreicht, in dem sich die energetisch neutralen Atome befinden – konnten das helle Band jedoch nicht detektieren. „Die Voyagers liefern grundsätzlich richtige Daten, aber sie verpassen die aufregendste Region“, erklärt Eric Christian, IBEX-Projektforscher am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt. „Das ist als wenn wir zwei Wetterstationen hätten, die den großen Sturm, der zwischen ihnen stattfindet, übersehen.“
(NASA/Universität Bern, 16.10.2009 – NPO)