Gischt im Megamaßstab: Astronomen haben auf einem massereichen Stern ein nie zuvor gesehenes Phänomen beobachtet. Auf ihm gibt es gigantische Plasmawellen, die sich auftürmen und dann wie eine Meereswelle brechen und in sich zusammenfallen. Jede einzelne dieser Plasmawellen ist dreimal so groß wie unsere Sonne, die Wucht ihres Kollapses verformt den gesamten Stern. Ursache der stellaren Riesenwellen sind starke Gezeitenkräfte eines nahen Begleitsterns.
Gezeitenkräfte sind im Sonnensystem nichts Ungewöhnliches: Bei uns auf der Erde erzeugen sie Ebbe und Flut, am Jupiter heizen sie den Vulkanmond Io auf und liefern die Wärme für die subglazialen Ozeane der Monde Europa und Ganymed. Ganz ähnliche Schwerkraft-Wechselwirkungen gibt es bei Sternen: Wenn sich Doppelsterne nah umkreisen, können Gezeitenkräfte das stellare Plasma beider Partner so stark verformen, dass die Sterne periodisch heller und dunkler werden. Diese Helligkeitsschwankungen erzeugen regelmäßige, im Takt der Umlaufperiode auftretende Ausschläge in der Lichtkurve des Sterns.
Wegen ihrer Ähnlichkeit zu einem EKG haben Astronomen solche Doppelsterne auch „Herzschlag“-Sterne getauft. „Die Amplituden dieser stellaren Gezeiten sind typischerweise 6.000-mal höher als die irdischen Meeresgezeiten“, erklärt Erstautor Morgan MacLeod vom Harvard & Smithsonian Center for Astrophysics. „Dennoch machen sie nur rund 0,1 Prozent des Sterneradius aus und verformen daher den Stern kaum.“ So jedenfalls dachte man.
Ein Herzschlag-Stern der Superlative
Doch im Jahr 2019 entdeckten Astronomen ein „Herzschlag“-System, das nicht ins Schema passte. Der Doppelstern in der Kleinen Magellanschen Wolke besteht aus dem jungen, 35 Sonnenmassen schweren Stern MACHO 80.7443.1718 und einem deutlich kleineren, nahen Begleiter. Das Ungewöhnlich daran: Die Gezeitenkräfte in diesem System sind so stark, dass die Form des Sterns um 20 Prozent schwankt. „Wir kennen keinen anderen Herzschlag-Stern, der so stark variiert“, sagt MacLeod.
Merkwürdig auch: Der Stern dreht sich viel schneller als für solche Paare üblich. Durch die enormen Fliehkräfte wird seine Gashülle am Äquator nach außen geschleudert und dehnt sich dort 50 Prozent weiter ins All hinaus als an den Polen. „Ich war neugierig, wie der Stern so extreme Gezeiten aushalten kann, ohne auseinanderzubrechen und woher seine schnelle Drehung und seine rotierende Gasscheibe kommt“, erklärt MacLeod.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Abraham Loeb hat der Astrophysiker ein Computermodell von MACHO 80.7443.1718 erstellt und untersucht, wodurch die enorme Verformung des Herzschlag-Sterns zustande kommen könnte.
Kollabierende Gezeitenwelle
Die Rekonstruktion enthüllte Überraschendes: Die Gezeitenkräfte auf dem Herzschlag-Stern sind offenbar so stark, dass sie gigantische Plasmawellen auftürmen. Bei jeder nahen Passage des kleineren Partnersterns bildet sich eine solche, ein Fünftel des Sterneradius hohe Welle. Sie ragt 4,3 Millionen Kilometer hoch auf – das entspricht fast der Höhe von drei Sonnendurchmessern, wie die Astronomen erklären. Der Kamm dieser Welle bewegt sich dabei wahrscheinlich schneller als die lokale Schallgeschwindigkeit.
Das hat Folgen: Wie die Simulation ergab, kann diese stellare Riesenwelle bei diesem Tempo nicht stabil bleiben. Wie eine Ozeanwelle bricht sie und kollabiert. „Die Welle fällt in sich zusammen und zerfällt in eine ungeordnete Turbulenz, ähnlich wie die schaumige Gischt der irdischen Meeresbrandung“, erklärt MacLeod. „Dabei setzt sie so viel Energie frei, dass schon ein Hundertstel davon unseren gesamten Planeten zerstören würde.“
Erster „Herzbrecher“-Stern
MACHO 80.7443.1718 ist damit bisher einzigartig: Er ist der erste Stern, auf dem Astronomen brechende Plasmawellen nachgewiesen haben. „MACHO 80.7443.1718 ist ein bemerkenswertes Objekt, das die Eigenschaften der stellaren Herzschlag-Oszillation mit einem Wellenbrechen bei jeder Periapsen-Passage kombiniert“, schreiben MacLeod und Loeb. Sie haben diesen ungewöhnlichen in Analogie zu den Herzschlag-Sternen deshalb „Herzbrecher“-Stern getauft – Heartbreak-Star.
Ihren Analysen zufolge beginnt der Kollaps der stellaren Riesenwellen in der Äquatorregion und erzeugt so starke Schockwellen, dass sie den gesamten Stern verformen und zum Schwingen bringen. Parallel dazu werden durch die Turbulenzen immer wieder große Klumpen an stellarem Plasma und Gasen ausgeschleudert – das erklärt die ausgeweitete Gashülle rund um den Äquator des Sterns.
Und auch die ungewöhnliche schnelle Rotation der Sternoberfläche erklärt dieses Szenario: Weil die Welle in Rotationsrichtung des Sterns bricht, transferiert sie einen Teil ihrer Energie auf dessen Drehbewegung, wie die Astrophysiker berichten.
Nur die Spitze eines Eisbergs?
Doch so beispiellos MACHO 80.7443.1718 bisher ist – er ist wahrscheinlich nicht der einzige seiner Art. „Dieser Herzbrecher-Stern könnte nur der erste Vertreter einer ganzen Klasse von astronomischen Objekten sein“, sagt MacLeod. Denn unter den rund tausend bisher bekannte Herzschlag-Sternen gibt es rund 20 weitere Exemplare, die ebenfalls ungewöhnlich große Helligkeitsschwankungen zeigen.
„Es müsste noch viele weitere solcher Herzbrecher-Sterne geben, insbesondere unter den massereichen Herzschlag-Sternen“, erklärt MacLeod. „Ihre Erforschung könnte uns neue Einblicke in die Physik der Gezeiten geben und darin, wie sie stellare und planetare Systeme transformieren.“ (Nature Astronomy, 2023; doi: 10.1038/s41550-023-02036-3)
Quelle: Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian (CfA)