Raumfahrt

ESA-Astronaut startet heute Abend zur ISS

Luca Parmitano wird Wirkungen der Schwerelosigkeit auf seinen Körper und auf Kristalle untersuchen

Im Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan wird die Sojus-Rakete zum Startplatz gerollt. Am 28. Mai 2013 um 22.31 Uhr mitteleuroäischer Sommerzeit fliegen die Astronauten Luca Parmitano, Karen Nyberg und Fjodor Jurtschichin zur Internationalen Raumstation ISS. © DLR

Seine Muskeln sind für die Wissenschaftler von Interesse, seine innere Uhr und auch die Strahlendosis, der er bei seiner Arbeit im Forschungslabor Columbus ausgesetzt sein wird: Der europäische Astronaut Luca Parmitano startet heute Abend zur Internationalen Raumstation ISS. Um 22.31 Uhr unserer Zeit startet der Astronaut vom Weltraumbahnhof Baikonur aus und wird 166 Tage im Orbit verbringen. In dieser Zeit b etreut er 14 wissenschaftliche Experimente, wird aber auch selbst als „Versuchskaninchen“ im All dienen.

Gerade einmal sechs Stunden dauert der Flug, der Luca Parmitano gemeinsam mit US-Astronautin Karen Nyberg und dem russischen Kosmonauten Fjodor Jurtschichin zu seinem Arbeitsplatz im Weltraum bringen wird. Nach vier Erdumrundungen dockt das Sojus-Raumschiff an der Internationalen Raumstation an – und für Parmitano beginnen sechs arbeitsreiche Monate in der Schwerelosigkeit. Die ersten Experimente hat der Astronaut allerdings schon auf der Erde absolviert: Dazu gehörte, sich eine Gewebeprobe aus einem Muskel entnehmen zu lassen.

Folgen für Muskeln und Knorpel

„Mit dem Experiment Sarcolab wollen wir herausfinden, warum die Muskelkraft in Schwerelosigkeit so extrem nachlässt“, erläutert Projektleiter Jörn Rittweger vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Im Weltall verlieren die Muskeln nicht nur Volumen, sondern vor allem überproportional ihre Kraft – trotz regelmäßigem Training. „Entweder wird jede einzelne Muskelfaser schwächer oder der gesamte Muskel verändert seinen Aufbau – dies sind mögliche Erklärungsansätze für Muskelschwund sowohl im All als auch auf der Erde.“ Mit umfangreichen Vergleichsmessungen vor und nach dem sechsmonatigen Aufenthalt des Astronauten im All will das Team herausfinden, warum die Kraft der Muskeln so schnell nachlässt.

Wie sich die Schwerelosigkeit auf den Aufbau und die Anatomie des Kniegelenkknorpels auswirkt, ist Thema eines weiteren deutschen Experiments, für das Luca Parmitano vor und nach dem Flug als Testperson dient. Das vom DLR-Raumfahrtmanagement geförderte und betreute Experiment „Cartilage“ will mit den Untersuchungen neue Erkenntnisse über den Knochenstoffwechsel erhalten. Während auf der Erde die Schwerkraft das menschliche Bewegungssystem angemessen beansprucht, kann eine geringere Belastung – wie im Weltall oder bei einem längeren Krankenhausaufenthalt – sogar dieses Stützgewebe schädigen.

Die innere Uhr ist Untersuchungsgegenstand des deutschen Experiments „Circadian Rhythm“: Während und nach seinem ISS-Aufenthalt wird mit dem Wärmesensor THERMOLAB die periodischen Veränderung der Körperkerntemperatur untersucht. Diese hat nämlich Einfluss auf die verschiedenen Systeme unseres Körpers, zum Beispiel den Schlaf, und beeinflusst Aufmerksamkeit und mentale Arbeitsleistung.

Der europäische Astronaut Luca Parmitano © DLR

Kristalle in der Schwerelosigkeit

Für die Materialphysiker wird Luca Parmitano die Öfen der Raumstation bedienen. Gleich für mehrere Experimente sollen verschiedene Aluminiumlegierungen in der Schwerelosigkeit aufgeschmolzen werden und anschließend wieder kristallisieren. Zurück auf dem Boden werden die erstarrten Proben dann vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum untersucht. Für das Experiment MICAST beispielsweise analysieren DLR-Wissenschaftler Lorenz Ratke und ein internationales Team Aluminiumlegierungen mit einem kleinen Anteil Eisen. „Gerade Eisen sorgt dafür, dass Aluminium bruchanfällig wird, weil es im Inneren eine Art hauchdünne Platten bildet.“ Versteht man solche Prozesse besser, könnte dies industrielle Gießprozesse zum Beispiel in der Autoindustrie optimieren.

Während Luca Parmitano im europäischen Forschungsmodul die verschiedenen Experimente bedient, werden 13 Detektorpakete die Strahlungsbelastung seiner Umgebung messen. Bereits seit einem Jahr analysieren die Geräte des Experiments DOSIS 3D des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, wie hoch die Strahlenexposition im fliegenden Labor ist. Ziel ist es, aus den Daten eine dreidimensionale Karte der Strahlenbelastung in der ISS zu erzeugen. Wichtig sind die Ergebnisse vor allem für spätere bemannte Raumfahrtmissionen, um eine gute Abschirmung zu ermöglichen.

Absprache mit Bodenstation zwei Mal am Tag

Die Ansprechpartner für Luca Parmitano bei seiner Arbeit im und am Forschungsmodul Columbus sitzen dabei im DLR Oberpfaffenhofen – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Jeden Morgen und jeden Abend spricht das Team des Deutschen Raumfahrtkontrollzentrums dann mit der Besatzung der Raumstation. „Wir diskutieren die anstehenden Aufgaben für den Tag, Änderungen, auf die sich Luca Parmitano bei seiner Arbeit einstellen muss, und am Abend dann vielleicht noch offene Fragen, die wir an die Astronauten haben – wir sind regelmäßig in Kontakt“, sagt Thomas Uhlig, einer der Flugdirektoren im Columbus-Kontrollzentrum.

Sobald der europäische Astronaut zum Arbeitsalltag ins Forschungslabor schwebt, arbeiten das Team am Boden und der Mann im All zusammen. Als Flugingenieur ist Parmitano zum einen für die Experimente, zum anderen für Wartungs- und Reparaturarbeiten im Labor zuständig. „Dafür erhält er die Anweisungen aus unserem Kontrollraum.“ Am 10. November 2013 soll der europäische Astronaut dann wieder nach 166 Tagen Forschung im Weltall und mehreren „Weltraumspaziergängen“ zur Erde zurückkehren. „Ich bin sicher: Ich werde mit einer Erinnerung an etwas zurückkehren, die mich für das Leben verändert“, sagt Luca Parmitano. Den Wissenschaftlern wird er etwas anderes mitbringen: Jede Menge Daten, die in den nächsten Monaten ausgewertet werden.

In einem Interview berichtet Luca Parmitano von der bevorstehenden Mission, seinen Aufgaben und seiner Motivation

(Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 28.05.2013 – NPO)

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