Unerklärliche Explosion: Astronomen haben eine Supernova entdeckt, deren Ablauf und Ursachen mit gängigen Modellen nicht erklärbar sind. Denn der zufällig 2,6 Jahre zuvor vom Hubble-Teleskop beobachtete Vorgängerstern passt nicht zu der seltenen Typ-Ib-Supernova. Diese Explosionen erfolgen nur, wenn der Stern zuvor seinen gesamten Wasserstoff verloren hat – doch der beobachtete Vorgängerstern ist dafür zu groß, kühl und gelb.
Normalerweise werden massereiche Sterne am Ende ihres Lebenszyklus zu Roten Riesen und explodieren in einer Kernkollaps-Supernova. Typisch für Doppelsternsysteme sind zudem Supernovae des Typs Ia, bei denen ein Weißer Zwerg Material von einem Begleitstern absaugt und beim Überschreiten einer bestimmten Masse explodiert. Beiden Supernova-Typen ist gemeinsam, dass in der Hülle des Vorgängersterns auch am Schluss noch einiges an Wasserstoff vorhanden ist.
Eine Supernova ohne Wasserstoff
Doch die 2019 entdeckte Supernova 2019yvr war anders: Spektralanalysen des von ihr ausgehenden Lichts enthüllten, dass bei dieser Sternexplosion in einer 35 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie extrem wenig Wasserstoff im Spiel war. Erste mehr als 150 Tage nach der Supernova traf die Schockwelle der Eruption auf eine Wolke von Wasserstoff, die der Vorgängerstern offenbar Jahrzehnte vorher ausgestoßen heben musste.
Auf den ersten Blick passte diese Sternexplosion damit perfekt zu einer seltenen Supernova des Typs Ib. Bei diesen schleudert der massereiche Vorgängerstern schon vor dem finalen Kollaps alle wasserstoffhaltigen Hüllen ins All hinaus. Dadurch ist er kurz vor der Explosion weniger stark aufgebläht als und deutlich heißer als „normale“ Rote Riesen. Die Vorgängersterne einer solchen Typ-Ib-Supernova leuchten dadurch bläulich und sind mehr als 10.000 Grad heiß.
Wie aber war es bei der Supernova 2019yvr? Durch einen glücklichen Zufall ist es einem Team um Charles Kilpatrick von der Northwestern University in Illinois gelungen, den Vorgängerstern dieser Explosion aufzuspüren. Im Archiv des Hubble-Weltraumtelekops stießen sie auf 2,6 Jahre alte Deep-Space-Aufnahmen dieser Himmelsregion, in denen genau an der Stelle der späteren Supernova ein heller Lichtpunkt zu erkennen war – der Vorgängerstern.
Vorgängerstern passt nicht zur Explosion
Merkwürdig nur: Dieser Stern war völlig anders als es die Modelle für einen Vorläufer einer Typ-Ib-Supernova vorsehen. Statt heiß, kompakt und blau war er auf rund 320 Sonnenradien aufgebläht und leuchtete tiefgelb. Seine Temperatur lag bei gut 6.500 Grad – gerade einmal der Hälfte des erwarteten. „Das steht in scharfem Kontrast zu den erwarteten Vorgängersternen einer Supernova des Typs Ib“, berichten die Forschenden. „Stattdessen entspricht dieser Stern in Temperatur und Leuchtkraft am ehesten den gelben Superriesen, die als Vorgängersterne der klassischen Kernkollaps-Supernova gelten.“
Trotzdem belegen die Beobachtungsdaten eindeutig, dass dieser seltsame Stern nicht in einer normalen Supernova explodierte, sondern in der wasserstoffarmen Typ-Ib-Form. „So etwas haben wir noch nie gesehen“, sagt Kilpatrick. „Wenn ein Stern ohne Wasserstoff explodiert, sollte er extrem blau sein und sehr, sehr heiß. Es ist nahezu unmöglich, dass ein Stern ohne Wasserstoff in seiner Hülle so kühl ist.“ Doch dieser Vorgängerstern war zum Zeitpunkt der Explosion nahezu wasserstofffrei.
Kein Szenario trifft zu
Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Um eine Antwort zu finden, spielen Kilpatrick und sein Team in ihrer Studie verschiedene Szenarien durch. So wäre es theoretisch denkbar, dass der gelbe Überriese erst unmittelbar vor der Explosion seine Wasserstoffhülle ausgeschleudert hat. Allerdings müsste er dann in weniger als 2,6 Jahren nahezu 30 Sonnenmassen an Wasserstoff verloren haben.
Doch das ist nach gängigen Modellen nahezu unmöglich und es erklärt nicht, warum man dann keinerlei Spuren dieses ausgeschleuderten Wasserstoffs gefunden hat. Denn die Wasserstoffwolke, auf die die Schockwelle der Sternexplosion nach 150 Tagen stieß, wurde schon 44 Jahre vor der Supernova ausgestoßen – zu früh, um die Beobachtungen zu erklären, wie die Astronomen berichten.
Ähnlich unwahrscheinlich ist ein Szenario, in dem die kühle, gelbe Oberfläche des Vorgängersterns in Wirklichkeit durch eine dichte Zone intensiven Sternenwinds sozusagen vorgetäuscht wird. Der Stern erschiene dann größer und kühler als er tatsächlich ist. „Es gibt aber keinerlei Indizien dafür, dass sich ein so dichter Sternenwind in der beobachteten Photosphäre bilden könnte“, so Kilpatrick und sein Team.
Auch ein Doppelstern passt nicht
Könnte der vermeintliche Einzelstern vielleicht ein Doppelsternsystem sein? Auch dieses Szenario haben die Astronomen untersucht. In den meisten Doppelsternsystemen behalten die Supernovavorgänger selbst kurz vor der Explosion noch einiges an Wasserstoff – zu viel um zu einer Typ-Ib-Supernova zu führen. Aber auch die wenigen Fälle, in denen es zu einem vorzeitigen Wegschleudern der Wasserstoffhüllen kommen könnte, passen nicht ins Bild:
„Als Doppelstern-Vorgänger von Typ-Ib-Supernovae erwartet man massearme Heliumsterne. Diese könne sich zwar durch Schalenbrennen ein wenig aufblähen, bleiben aber typischerweise unter 100 Sonnenradien“, so Kilpatrick und sein Team. Der gelbe Riese von SN2019yvr war dagegen mindestens 320 Sonnenradien groß.
„Die Grenze des physikalisch Möglichen“
Damit ist diese Kombination von Vorgängerstern und Supernova mit gängigen Theorien nicht erklärbar: „Wir haben uns jedes stellare Modell angeschaut, das einen Stern wie diesen erklären könnte – aber jedes von ihnen erfordert, dass der Stern noch Wasserstoff besitzt. Das aber war nicht der Fall, wie wir von der Supernova wissen“, sagt Kilpatrick. „Dieser Fall erreicht die Grenze dessen, was physikalisch möglich ist.“
Wie die Astronomen erklären, muss der Supernova 2019yvr ein Szenario vorausgegangen sein, in dem kurz vor der Explosion ein nahezu hüllenloser und wasserstoffarmer Vorgängerstern entstand. Andererseits muss dieser Prozess erlauben, dass der Stern noch bis zu 2,6 Jahre vor seiner Supernova ungewöhnlich kühl und groß blieb. Noch haben auch Kilpatrick und seine Kollegen keine eindeutige Lösung für dieses Dilemma.
Sie hoffen aber, dass die bessere Auflösung künftiger Teleskope wie dem im Bau befindlichen Vera C. Rubin Observatory in Chile eine Antwort liefern können. „In vier bis fünf Jahren könnten wir vielleicht mehr darüber erfahren, was dort wirklich geschah“, sagt Kilpatrick. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2021; doi: 10.1093/mnras/stab838)
Quelle: Royal Astronomical Society