Gebündelte Energie: Astronomen haben eine der stärksten kosmischen Gammastrahlen-Quellen entdeckt – in unserer eigenen Galaxie. Urheber der Strahlung ist überraschenderweise ein Mikroquasar: ein Doppelsystem aus Schwarzem Loch und massereichem Stern. Nie zuvor wurde so energiereiche Strahlung von einem Mikroquasar dokumentiert – sie erreicht Energien von mehr als 200 Teraelektronenvolt. Dies enthüllt, dass Mikroquasare in der Milchstraße weit härtere kosmische Strahlung erzeugen als gedacht, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Die extrem kurzwellige Gammastrahlung ist die energiereichste Form elektromagnetischer Strahlung. Sie entsteht, wenn extrem beschleunigte Teilchen durch externe Einflüsse abgebremst werden und ihre überschüssige Energie in Form der Strahlung abgeben. Häufigste Ursache kurzzeitiger Gammastrahlen-Ausbrüche sind die Supernovae massereicher Sterne, die bis zu 20 Teraelektronenvolt starke Strahlung freisetzen. Auch einige Pulsare erzeugen Jets in diesem Energiebereich.
Als stärkste kosmische Gammastrahlenquellen gelten jedoch Quasare – aktiv Materie verschlingende supermassereiche Schwarze Löcher im Herzen ferner Galaxien. Die intensiven Strahlenkegel dieser aktiven Galaxienkerne reichen Milliarden Lichtjahre weit ins All hinaus.
Hochenergie-Gammastrahlen im Überschuss
Doch auch in unserer eigenen Galaxie gibt es Gammastrahlenquellen, die den fernen Quasaren kaum nachstehen. Entdeckt haben dies Astronomen der HAWC-Kollaboration um Ruben Alfaro von der Autonomen Nationaluniversität Mexiko mithilfe des High-Altitude Water Cherenkov Gamma-Ray Observatory (HAWC) auf dem mexikanischen Vulkan Sierra Negado. Diese Anlage besteht aus 300 Wassertanks, in denen Photosensoren die winzigen Lichtblitze einfangen, die energiereiche kosmische Strahlung bei Kollisionen mit Atomen erzeugt.
Bei der Auswertung der HAWC-Daten von 2015 bis 2022 stießen die Astronomen auf einen ungewöhnlichen Überschuss an extrem energiereicher Gammastrahlung. Sie erreichte Energien von bis zu 217 Teraelektronenvolt und hob sich deutlich vom normalen Hintergrund kosmischer Strahlung ab, wie das Team berichtet. Typischerweise stammen derartig energiereiche Gammastrahlen von fernen Quasaren, doch bei dieser Quelle war dies nicht der Fall: Alfaro und seine Kollegen konnte keine extragalaktische Quelle ermitteln.
Mikroquasar aus unserer Nachbarschaft
Stattdessen entdeckten sie Überraschendes: „Die Gamma-Photonen kommen von einem Mikroquasar in unserer eigenen Galaxie – das ist ziemlich unglaublich“, berichtet Koautorin Sabrina Casanova vom polnischen Institut für Kernphysik in Krakau. Mikroquasare bestehen aus einem Schwarzen Loch oder Neutronenstern, der einem Partnerstern Materie absaugt und dabei Jets beschleunigter Teilchen erzeugt. Dabei setzen diese Jets oft energiereiche Röntgen- und Gammastrahlung frei.
„Normalerweise haben Gammastrahlen von Mikroquasaren Energien im Bereich weniger Gigaelektronenvolt – aber diese hier sind zehntausende Mal energiereicher“, erklärt Casanova. Der als Quelle identifizierte Mikroquasar V4641 Sagittarii (V4641 Sgr) liegt rund 20.000 Lichtjahre von uns entfernt und besteht aus einem stellaren Schwarzen Loch von rund sechs Sonnenmassen und einem Stern von rund drei Sonnenmassen. Beide umkreisen sich in enger Bahn mit einer Umlaufzeit von weniger als drei Tagen. Der von diesem Doppelsystem erzeugte Jet zeigt auf das Sonnensystem, so dass dessen Gammastrahlen auf die Erde treffen.
Wie entstehen die rekordträchtigen Energien?
Doch warum ist die Gammastrahlung dieses Mikroquasars so viele energiereicher als von anderen Objekten dieser Art bekannt? Nähere Analysen ergaben, dass V4641 Sgr selbst den bisher stärksten bekannten Mikroquasar der Milchstraße, SS 433, um das mindestens Zehnfache übertrifft. „Das außerordentlich harte Spektrum macht V4641 Sgr zu einer der härtesten (energiereichsten) je gemessenen Hochenergie-Strahlungsquellen“, berichten Alfaro und seine Kollegen.
Als mögliche Ursache für diese ungewöhnlich hohen Gammastrahlen-Energien vermuten die Astronomen hoch beschleunigte Protonen. „Diese Protonen könnten an der Randstoßwelle des Jets beschleunigt werden, dort wo der Jet auf das interstellare Medium trifft“, erklären sie. „Dies könnte aber auch entlang des Jets geschehen.“ Theoretisch können zwar auch schnelle Elektronen beim Abbremsen Gammastrahlen freisetzen, dieser Prozess wäre aber für die hier beobachteten Strahlungsintensitäten nicht energiereich genug.
„Kein Einzelfall“
Nach Ansicht der Astronomen legt die aktuelle Entdeckung nahe, dass Mikroquasare in unserer Milchstraße stärkere Strahlungsquellen sein könnten als angenommen. „V4641 Sagittarii ist wahrscheinlich nicht der einzige. Auch von anderen Mikroquasaren haben Observatorien schon extrem energiereiche Photonen detektiert“, sagt Casanova. „Es ist daher wahrscheinlich, dass Mikroquasare mehr zum energiereichsten Anteil der kosmischen Strahlung beitragen als gedacht.“
Gleichzeitig bieten Strahlungsquellen wie V4641 Sgr damit Astronomen die Chance, die Mechanismen näher zu untersuche, durch die im Kosmos Gammastrahlung im Teraelektronenvolt-Bereich entstehen. Denn anders als die fernen Quasare liegen Mikroquasare in unserer kosmischen Nachbarschaft und damit in Reichweite von Teleskopen und anderen Messinstrumenten. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07995-9)
Quelle: Nature, Henryk Niewodniczanski Institute of Nuclear Physics