Aus der Bahn geraten: Astronomen haben erstmals einen Doppelstern mit auf die Seite gekippter protoplanetarer Scheibe entdeckt. Die rotierende Scheibe aus Gas und Staub kreist nicht auf der Bahnebene des zentralen Sternenpaares, sondern fast senkrecht dazu. Dies sei der erste bekannte Fall einer solchen polaren protoplanetaren Scheibe um einen Doppelstern, berichten die Astronomen im Fachmagazin „Nature Astronomy“.
Unsere Erde und ihre Nachbarn entstanden einst in einer rotierenden Scheibe aus Gas und Staub um die junge Sonne. Auch um andere Sterne haben Astronomen inzwischen solche protoplanetaren Scheiben und sogar junge Planeten in ihnen entdeckt. In den meisten Fällen liegt dabei die Ebene der Scheibe koplanar – etwa auf der Äquatorebene des Sterns. Bei Doppelsternen kreist der Staubring meist parallel zur Bahnebene des Sternenpaares.
Gekippte Staubringe
Doch es gibt Ausnahmen: Durch Turbulenzen in der Staubscheibe kann diese kippen und dann gegenüber der Sternenebene geneigt sein. Im Extremfall entstehen so Planetensysteme, die senkrecht zur Rotation ihres Sterns kreisen. Der Theorie zufolge können solche polaren Staubscheiben auch bei Doppelsternen vorkommen. Doch bisher waren keine Beispiele dafür bekannt, wie Grant Kennedy von der University of Warwick und seine Kollegen erklären.
Jetzt jedoch haben die Astronomen die erste polare Staubscheibe um einen Doppelstern aufgespürt. Mithilfe des Atacama Large Millimeter/sub-millimeter Array (ALMA) hatten sie das rund 150 Lichtjahre entfernte Sternensystem HD 98800 näher untersucht – einen Verbund aus zwei jungen Sternenpaaren. Von einem dieser Paare, HD 98800 B, ist schon länger bekannt, dass es von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist. Die Ausrichtung aber blieb unklar.
Senkrecht zum Sternenpaar
Jetzt enthüllen die ALMA-Aufnahmen: Die Staubscheibe von HD 98800 B liegt nicht auf der Bahnebene der beiden zentralen Sterne. Stattdessen ist sie um 154 Grad dazu gekippt, wie die Forscher berichten. Während sich die beiden Sterne demnach umkreisen wie zwei Pferde auf einem Karussell, steht die Staubscheibe senkrecht dazu – wie ein Riesenrad über dem Karussell.
Wie die Astronomen mithilfe eines astrophysikalischen Modells ermittelten, ist diese polare Konfiguration relativ stabil: „Sie bleibt für mindestens 500 Orbits des Sternenpaares – 500 Jahre – in der beobachteten Ausrichtung“, berichten Kennedy und sein Team. Eine zweite, deutlich weniger geneigte Konfiguration wäre anhand der Beobachtungsdaten zwar ebenfalls möglich, aber sehr instabil und daher eher unwahrscheinlich.
Können darin Planeten entstehen?
„Damit berichten wir über die erste Entdeckung einer protoplanetaren Scheibe um einen Doppelstern, die in polarer Konfiguration steht“, sagen die Forscher. „Das bestätigt die theoretischen Vorhersagen, nach denen es solche Scheiben geben muss.“ Nach Ansicht der Astronomen könnten solche polaren Staubscheiben und vielleicht auch polare Planeten bei Doppelsternen sogar häufig vorkommen.
Gäbe es im Sternensystem HD 98800 B einen Planeten, dann könnte man von seiner Oberfläche aus den Staubring als senkrechtes Band über dem Horizont stehen sehen. Die beiden Sonnen des Systems stünden dann nebeneinander am Himmel, die rund 50 astronomische Einheiten entfernten Sterne des Nachbar-Paares wären ebenfalls zu sehen. „Wenn in diesem System Planeten entstehen sollten, dann hätten sie gleich vier Sonnen am Himmel“, sagt Koautor Daniel Price von der Monash University in Melbourne.
Noch allerdings sind in der protoplanetaren Scheibe von HD 98800 B keine Planeten nachweisbar – wohl aber die ersten Stufen der Akkretion, wie die Astronomen berichten. „Diese Scheibe weist einige der gleichen Signaturen auf, wie wir sie von der Staub-Akkretion in Scheiben um Einzelsterne kennen“, sagt Kennedy. Demnach könnte die Planetenbildung in dieser gekippten Staubscheibe zumindest begonnen haben. (Nature Astronomy, 2019; doi: 10.1038/s41550-018-0667-x)
Quelle: University of Warwick