Schatz in der Tiefe: Tief im Inneren des Planeten Merkur könnte eine Schicht aus reinem Diamant liegen – bis zu 18 Kilometer dick, wie Hochdruckexperimente und Modelle nahelegen. Diese Edelsteinschicht liegt an der Grenze zwischen Kern und Mantel des Planeten und bildete sich im Laufe der Zeit aus dem reichlich im Merkur vorhandenen Graphit. Möglich war diese Umwandlung des Kohlenstoffs in seiner kompakteste Form allerdings nur wegen einer ganz speziellen weiteren Zutat im Merkurinneren.
Der innerste Planet unseres Sonnensystems ist ein echter Sonderling: Merkur ist kleiner, dichter und älter als alle anderen Planeten und besitzt einen unverhältnismäßig großen Kern. Zudem rotiert er ungewöhnlich schnell und scheint bis heute zu schrumpfen. Ebenfalls außergewöhnlich ist seine Zusammensetzung: Kruste und Inneres des Merkur enthalten ein bis drei Prozent Kohlenstoff in Form von Graphit – bei der Erde sind es gerade einmal 100 parts per million (ppm). Der Kohlenstoff färbt die Merkurkruste dunkel.
Graphit und Magmaozean
Doch im Inneren des Merkur könnte sich das Graphit in einen echten Schatz verwandelt haben – in puren Diamant. Das zumindest postuliert ein Team um Yongjiang Xu vom Zentrum für Hochdruckforschung und Technologie in Peking. Sie haben in Hochdruckexperimenten und Modellierungen rekonstruiert, welche Folgen der hohe Graphitgehalt für die Entwicklung des Merkurinneren gehabt haben könnte.
Ähnlich wie die Erde war auch der Merkur in seiner Frühzeit von einem Magmaozean bedeckt. „Weil Graphit weniger dicht ist als die Schmelze des Magmaozeans sammelte es sich an der Oberfläche und trug zur Bildung der primordialen Kruste des Planeten bei“, erklären Xu und sein Team. Doch auch im anfangs noch durchmischten Inneren des Planeten war Graphit präsent und wurde im Zuge der Schichtbildung auf Kern und Mantel verteilt.
Merkurmischung unter Hochdruck
An diesem Punkt setzen Xu und sein Team an: Sie haben untersucht, welchen Zustand der Kohlenstoff an der Kern-Mantel-Grenze des jungen Merkur eingenommen haben könnte: Blieb es Graphit oder reichte der Druck aus, um den Kohlenstoff zur kompakten Kristallform des Diamants zu komprimieren? „Der höchstmögliche Druck an Merkurs Kern-Mantel-Grenze sind unseren Berechnungen nach sieben Gigapascal“, erklären die Forscher.
In ihren Hochdrucktests prüften sie daher, wie sich verschiedene Rezepte des frühzeitlichen Merkurmaterials unter diesem Druck und bei Temperaturen zwischen 1.700 und 2.000 Grad verhielten. Doch anders als frühere Studien fügten Xu und seine Kollegen der kohlenstoffhaltigen Mischung aus Silikaten einerseits und einer Eisensilizium-Legierung für den Kern andererseits noch eine weitere Zutat hinzu: Schwefel. Dieses Element ist neuesten Messungen zufolge ebenfalls reichlich auf und im Merkur vertreten.
Schwefel ist der Schlüssel
Der Clou dabei: Die Anwesenheit von Schwefel senkt die Temperatur, ab der die Silikatschmelze des Magmaozeans zu erstarren beginnt. „Bei einem Gewichtsprozent Schwefel sinkt die Liquidustemperaturen um 59 Kelvin und je mehr Schwefel dazu kommt, desto weiter sinkt sie – wenn auch etwas langsamer“, erklären Xu und seine Kollegen. Unter hohem Druck und reduzierenden Bedingungen verschiebt dies das Graphit-Diamantgleichgewicht zugunsten des Diamanten, wie die Hochdrucktests ergaben.
Bei rund elf Prozent Schwefelgehalt reichten der hohe Druck und die Temperaturen am Unterrand des Magmaozeans aber aus, einen kleinen Teil des Kohlenstoffs zu Diamanten auskristallisieren zu lassen. „Der Anteil der Diamantproduktion in diesen frühen Stadien der Magmaozean-Kristallisation wäre allerdings gering: Unseren Berechnungen nach wäre dadurch oberhalb der Kern-Mantel-Grenze eine 0,1 bis 200 Meter dicke Diamantschicht entstanden“, berichten die Forscher.
Diamantkristalle aus dem Merkurkern
Doch das ist noch nicht alles: Weitere Diamanten kommen aus dem Merkurkern hinzu, denn auch dieser enthält vermutlich rund drei Prozent Kohlenstoff, wie Xu und sein Team in weiteren Tests und Modellsimulationen ermittelten. „Als sich der feste innere Kern des Merkur bildete, kristallisierten dabei Diamanten aus der Schmelze aus“, erklären sie. Weil diese Diamantkristalle leichter waren als
die verbliebene Metallschmelze, stiegen sie bis an die Kern-Mantelgrenze auf.
Als Folge lagerten sich im Laufe der Zeit auch von unten her Diamanten an der Kern-Mantelgrenze ab. Dadurch könnte diese Diamantschicht heute rund 15 bis 18 Kilometer dick sein, wie die Wissenschaftler errechneten. Allerdings: Dieser Edelsteinschatz liegt mehr als 600 Kilometer tief unter der Merkuroberfläche und ist daher absolut unerreichbar. Bedeutung könnte diese Kristallschicht aber für den Wärmehaushalt des Merkur haben. Denn Diamant ist ein besonders guter Wärmeleiter – deutlich besser als die meisten Metalle oder Gesteine.
„Künftige Arbeiten sollten daher erforschen, wie die Präsenz einer kilometerdicken Diamantschicht an der Kern-Mantel-Grenze die thermische Entwicklung des Planeten und seiner Silikatschichten beeinflusst“, schreiben Xu und sein Team.
Könnte BepiColombo Diamanten finden?
Doch wie lässt sich überprüfen, ob Merkur wirklich eine Diamantschicht in seinem Inneren hat? Wie die Forscher erklären, ist diese Edelsteinschicht zu dünn, um von außen oder durch indirekte Messwerte nachgewiesen zu können. Es wäre ihrer Ansicht nach aber denkbar, dass einige dieser Diamanten durch Umwälzströmungen in der Frühzeit des Merkur, Vulkanismus oder große Einschläge an die Oberfläche transportiert wurden – ähnlich wie irdische Diamanten durch das aufsteigende Magma von Vulkanen.
Besonders hoch wäre die Chance für solche Diamantfunde demnach in der sogenannten „High-Magnesium-Provinz“ des Merkur. In diesem Gebiet haben Messungen der Raumsonde MESSENGER einen ungewöhnlich hohen Magnesiumgehalt in der Merkurkruste nachgewiesen. Dies gilt als Indiz dafür, dass dort Material aus größerer Tiefe an die Oberfläche gelangt ist – und damit möglicherweise auch Diamanten. „Die Raumsonde BepiColombo könnte dies durch genauere Untersuchung dieser High-Magnesium-Provinz klären“, sagen Xu und seine Kollegen. Die Merkursonde der ESA wird 2025 in den Orbit des Planeten einschwenken. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-49305-x)
Quelle: Nature Communications