Schwester der Erde: Obwohl die Venus keine Plattentektonik hat, könnte es auf ihr Kontinente geben. Denn die riesigen, kontinentgroßen Hochplateaus der Venus sind möglicherweise genauso entstanden wie die irdischen Kratone – die Wurzeln unserer Landmassen, wie Forschende in „Nature Geoscience“ berichten. Indizien dafür lieferte ihnen ein Modell, das die Bildung dieser hoch aufragenden Venus-Plateaus rekonstruiert hat. Die Resultate werfen auch neues Licht auf die irdische Kontinentbildung.
Die Erde ist im Sonnensystem einzigartig, denn nur auf ihr gibt es eine Plattentektonik und sich bewegende Kontinente. Doch wie sich aus der ursprünglich basaltischen Urkruste die ersten Kontinentwurzeln bildeten, ist bisher strittig: Einer Theorie nach entstanden die Kratone erst mit dem Beginn der Plattentektonik, andere sehen ihren Ursprung hingegen früher – in magmatischen Prozessen unter Gebirgen, nach Asteroideneinschlägen oder unter submarinen Vulkanplateaus.
Wie entstanden Ishtar Terra und Co?
Wie sich nun zeigt, könnte die Venus neue Einblicke in die irdische Frühgeschichte liefern. Unser Nachbarplanet gilt in vielem als „Schwester“ der Erde – sie ist etwa gleich groß, im Inneren ähnlich aufgebaut und in ihrem Mantel gibt es Konvektionsströmungen. Ob die Venus aber eine Tektonik mit sich verändernder Kruste aufweist, ist strittig. Ihre Kruste gilt als zu weich und heiß für die Ausbildung von Krustenplatten und Kontinenten. Merkwürdig ist allerdings, dass es auf dem Planeten dennoch riesige Gebirgszüge und Hochplateaus gibt.
An diesem Punkt setzen Fabio Capitanio von der australischen Monash University und seine Kollegen mit ihrer Studie an. Sie haben untersucht, wie die beiden riesigen, kontinentgroßen Hochplateaus der Venus entstanden sein könnten. Das größte von ihnen, Ishtar Terra, ist vier Kilometer hoch und wird von gut zehn Kilometer hohen Gebirgsketten gesäumt. Doch wie wurden solche Gebirge und Plateaus ohne Plattentektonik gebildet? Um das zu klären, haben die Forschenden die mögliche Entwicklung in einem geophysikalischen Computermodell rekonstruiert.
Ähnlicher Prozess wie bei irdischen Kratonen
Das Ergebnis: „Die Plateaus der Venus könnten ähnlich entstanden sein wie die Kratone auf der heißen, frühen Erde vor Beginn der Plattentektonik“, berichten Capitanio und sein Team. Demnach weichte die Urkruste der Venus durch die hohen Temperaturen auf und wurde von den darunter ablaufenden Konvektionsströmungen verformt: Es bildeten sich gedehnte, dünnere Bereiche über den Aufwärtsströmungen und Ränder, an denen Material in die Tiefe strömte.
Unter den ausgedünnten Krustenteilen führte der Druck des aufsteigenden Mantelmaterials zu einer verstärkten Schmelze, wodurch vermehrt Magmabis in die Kruste aufstieg und gleichzeitig chemische Veränderungen durchlief. „Diese Schmelzen bildeten eine verdickte, magmatische Kruste, während der darunter liegende Mantel wegen seiner geringeren Dichte Auftrieb erzeugte“, erklären die Forschenden. Beides zusammen führte im Laufe der Zeit zu einer Hebung der kontinentähnlichen Hochplateaus.
Erdähnlicher als gedacht
„Die in unserem Modell entstehenden Strukturen zeigen in Topografie, Krustendicke und Schwerefeld eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu den Hochplateaus der Venus“, berichten Capitanio und sein Team. Sogar die großen Gebirgsketten im Randbereich der Plateaus bildeten sich in der virtuellen Venusumgebung. Damit ähneln diese Formationen nicht nur den irdischen Kontinenten, sie könnten auch ähnlich wie deren frühe Wurzeln, die Kratone, entstanden sein.
„Wir haben nicht erwartet, dass die Venus mit ihren höllischen Oberflächentemperaturen von 460 Grad und dem Fehlen von Plattentektonik solche komplexen geologischen Strukturen bilden kann“, sagt Capitanio. „Dies fordert unsere Vorstellungen darüber heraus, wie sich Planeten entwickeln – und liefert uns eine faszinierende neue Sicht auf die Venus. Ihre frühe Dynamik könnte erdähnlicher gewesen sein als bisher gedacht.“
Das Team hofft nun, dass die für 2030er Jahre geplanten Missionen zur Venus noch weitere Informationen über die „Kontinente“ der Venus, ihre Zusammensetzung und geologische Struktur liefern. (Nature Geoscience, 2024 doi: 10.1038/s41561-024-01485-3)
Quelle: Nature Geoscience, Monash University