Rätselhafte Anomalie: Viele intergalaktische Gaswolken sind wärmer, als sie sein dürften. Doch was sie aufheizt, ist bisher rätselhaft. Jetzt könnten Physiker eine Ursache gefunden haben: „dunkle Photonen“. Diese potenziellen Teilchen der Dunklen Materie können sich unter bestimmten Bedingungen in normale Photonen umwandeln und dabei Wärme freisetzen. Modellsimulationen zufolge passt die beobachtete Anomalie genau zu diesem Effekt, wie die Forscher berichten.
Wenn das Licht ferner Quasare und Galaxien durch intergalaktische Gaswolken scheint, hinterlassen die Atome und Moleküle in diesem Medium charakteristische Absorptionslinien im Lichtspektrum. Am prominentesten sind dabei die Spektrallinien des Wasserstoffs, die sogenannten Lyman-Alpha-Linien. Weil diese Linien je nach Entfernung des Wasserstoffgases unterschiedlich weit in den langwelligen Bereich verschoben sind, zeigen die Spektren oft einen ganzen „Wald“ dieser Linien.
Rätsel um zu breite Spektrallinien
Das Merkwürdige jedoch: Die Lyman-Alpha-Linien einiger intergalaktischer Wolken sind ungewöhnlich stark verbreitert. „Der Lyman-Alpha-Wald ist wie ein Kalorimeter: Die Breite der Absorptionslinien spiegelt die Temperatur des intergalaktischen Wasserstoffs wider“, erklären James Bolton von der University of Nottingham und seine Kollegen. Gängigen Modellen zufolge wird dieser Wasserstoff primär durch die UV-Strahlung von Sternen und Quasaren aufgeheizt.
Für weit entfernte kosmische Wasserstoffwolken stimmt die Linienverbreiterung auch recht gut mit dem Heizeffekt dieser Strahlung überein. Dies gilt aber nicht für den intergalaktischen Wasserstoff in unserer komischen Umgebung: Bis zu einer Rotverschiebung von etwa z=2 sind die Lyman-Alpha-Linien deutlich breiter als sie es sein dürften. „Das spricht dafür, dass hier eine nicht in den Modellen enthaltene Aufheizung am Werk ist“, erklären die Physiker. Messungen zufolge entspricht diese zusätzlich zugeführte Wärme einer Energie von bis zu 6,9 Elektronenvolt pro Proton.
Dunkle Photonen als Urheber?
Doch woher kommt diese Energie? Bolton und sein Team haben dafür ein ganz spezielles Teilchen im Verdacht: „Der Wärmeüberschuss könnte ein Indiz für dunkle Photonen sein – einen Kandidaten für die Teilchen der Dunklen Materie„, erklärt Koautor Andrea Caputo vom Forschungszentrum CERN bei Genf. Wenn diese dunklen Photonen auf ionisierte Gaswolken einer bestimmten Dichte treffen, können Resonanzeffekte auftreten, die sie in normale Photonen umwandeln und dabei Energie freisetzen.
„Das dunkle Photon kann dadurch das intergalaktische Gas aufheizen und das macht die Absorptionslinien breiter“, so Caputo. Ob die beobachtete Verbreiterung der Lyman-Alpha-Linien mit diesem Umwandlungsprozess erklärbar wäre, haben die Forscher nun mithilfe physikalischer Modellsimulationen untersucht. Im Speziellen analysierten sie dabei, bei welcher Dichte der Gaswolken der nötige Resonanzeffekt auftritt und welche Masse die hypothetischen Teilchen dabei haben müssten.
Modell passt zu Beobachtungsdaten
Das Ergebnis: Die intergalaktischen Gaswolken in unserer näheren kosmischen Umgebung haben die passende Dichte für den Resonanzeffekt. In ihnen könnte daher eine Umwandlung der dunklen Photonen in ihr normales Gegenstück stattfinden. „Die meisten resonanten Umwandlungen ereignen sich demnach bei einer Rotverschiebung von z=2“, wie die Physiker berichten. „Daher könnte dies die verbreiterten Absorptionslinien bei geringen Rotverschiebungen erklären.“
Weiter entfernte Wasserstoffwolken haben dagegen nicht mehr die nötige Dichte für diesen Prozess, wie das Modell nahelegt. Deshalb weichen ihre Lyman-Alpha-Linien weniger stark von den theoretisch erwarteten Werten ab. Allerdings könnte auch bei diesen entfernten intergalaktischen Wolken ein kleiner Teil der beobachteten Linienverbreiterung auf dunkle Photonen zurückgehen, wie Bolton und sein Team postulieren.
„Das Spannende ist, dass es im Lyman-Alpha-Wald tatsächlich Hinweise darauf gibt, dass auch das intergalaktische Medium bei einer Rotverschiebung von z=3 heißer ist als in den kanonischen Modellen der UV-Aufheizung vorgesehen“, berichten die Physiker. Sie sind bereits dabei, auch dieser Spur nachzugehen.
Nicht der einzige Kandidat
„Unsere Studie ist der erste klare Hinweis darauf, dass auch eine Energiezufuhr durch Dunkle Materie die Beobachtungen erklären kann“, konstatieren Bolton und sein Team. Sollte es die dunklen Photonen geben, dann engt ihr Modell deren Energie und damit Masse auf etwa zehn Billiardstel Elektronenvolt pro Quadratmeter der Lichtgeschwindigkeit ein (10-14/c2). Das entspricht rund 0,1 Trillionstel der Masse eines Elektrons.
Allerdings räumen die Physiker auch ein, dass sie andere Erklärungen für die verbreiterten Spektrallinien nicht ausschließen können. „Sollten zukünftige Studien diese konventionellen Erklärungen aber ausschließen, dann könnten wir hiermit den ersten Effekt der dunklen Materie gefunden haben, der nicht über die Schwerkraft vermittelt wird“, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Kosmologe Sam Witte von der Universität Amsterdam. (Physical Review Letters, 2022; doi: 10.1103/PhysRevLett.129.211102)
Quelle: American Physical Society