Subtile Drehung: Die Dunkle Materie und Energie könnten ein physikalisches Grundgesetz verletzen – mögliche Hinweise darauf haben Forscher nun in der kosmischen Hintergrundstrahlung entdeckt. Demnach weicht die Polarisationsrichtung dieses kosmisch alten Lichts leicht vom Sollwert ab. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Interaktion mit Dunkler Materie oder Dunkler Energie die fundamentale Symmetrie der Parität verletzt.
Gängiger Lehrmeinung nach herrscht in unserem Universum eine grundlegende Symmetrie bei den physikalischen Grundkräften: Wenn man Teilchen oder Systeme räumlich spiegelt, bleiben die Regeln gültig. Selbst im Reich der Antimaterie scheinen alle physikalischen Gesetze weiter zu gelten, wenn auch teilweise mit umgekehrten Vorzeichen. Ein Bruch dieser fundamentalen Symmetrie, auch Parität genannt, wäre ein Hinweis darauf, dass unser physikalisches Weltbild unvollständig ist und es jenseits des Standardmodells noch unerkannte Prozesse gibt – eine neue Physik.
Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung
Einen ersten Hinweis auf einen solchen Symmetriebruch könnten nun Yuto Minami von der japanischen Hochenergie-Beschleuniger Forschungsorganisation und Eiichiro Komatsu vom Max-Planck-Institut für Astrophysik entdeckt haben. Für ihre Studie hatten sie die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung untersucht. Diese Strahlung wurde kurz nach dem Urknall frei und trägt Spuren vergangener Interaktionen mit kosmischen Grundbausteinen und Ereignissen.
Unter diesen Interaktions-Spuren verbergen sich auch subtile Hinweise auf Wechselwirkungen mit der Dunklen Materie und der Dunklen Energie – prägenden Komponenten des Universums, deren Natur völlig unbekannt ist. Doch wenn diese beiden Phänomene auf einer Physik beruhen, die über unser Standardmodell hinausgeht, könnten sie die Paritätssymmetrie verletzen – und die Spuren davon müssten sich in der kosmischen Hintergrundstrahlung finden. „Die Polarisation dieser Strahlung ist sensibel gegenüber paritätsverletzender Physik“, erklären die Forscher.
Gibt es diese Symmetrieverletzung, müsste sie sich in der sogenannten kosmischen Doppelbrechung zeigen, einem Effekt, der die lineare Polarisation der Hintergrundstrahlung um einen bestimmten Winkel β dreht. „Wenn Dunkle Materie oder Dunkle Energie mit dem Licht des kosmischen Mikrowellenhintergrunds auf eine Art interagiert, die die Paritätssymmetrie verletzt, dann können wir diese Signatur in den Polarisationsdaten finden“, sagt Minami.
Was kommt vom Sensor und was vom Kosmos?
Das Problem jedoch: Um den Winkel der Polarisation zu messen, muss genau bekannt sein, wie der Detektor relativ zum Himmel ausgerichtet ist. Denn auch dies beeinflusst die Winkelmessung. Das aber war für den bislang besten Sensor der Hintergrundstrahlung, den Planck-Satelliten der ESA, nur schwer präzise zu bestimmen. Minami und Komatsu haben nun jedoch einen Weg gefunden, diese messbedingten Abweichungen einzugrenzen.
„Wir haben eine neue Methode entwickelt, um diese künstliche Rotation zu bestimmen, indem wir polarisiertes Licht vom Staub aus unserer Milchstraße nutzen“, erklärt Minami. Stammt der gemessene Rotationswinkel vom Sensor, müsste die Abweichung auf der kurzen Strecke innerhalb der Milchstraße genauso groß sein wie die der fernen kosmischen Hintergrundstrahlung. Verursacht dagegen die Interaktion mit Dunkler Materie oder Dunkler Energie die Drehung der Polarisationsrichtung, dürft sich dieser Effekt nur an dem Licht zeigen, dass den langen Weg durch den Kosmos zurückgelegt hat.
Erste Indizien für eine Abweichung gefunden
Und tatsächlich: Die Forscher ermittelten einen Wert für den Rotationswinkel β, der bei 0,35 Grad liegt. „Das schließt die Nullhypothese eines β = 0 mit einer Konfidenz von 99,2 Prozent aus“, so Minami und Komatsu. Damit könnte dies ein erster Hinweis darauf sein, dass die Wechselwirkung mit Dunkler Materie und Dunkler Energie die Paritätssymmetrie verletzt – und dass hier neue Physik im Spiel ist.
Allerdings: Auch wenn die Messgenauigkeit für β und die Sensorposition doppelt so hoch ist wie bei bisherigen Analysen, reicht dies in der Physik für eine offizielle Entdeckung nicht aus. Denn dafür bräuchte man ein Konfidenzniveau von 99,99995 Prozent oder fünf Sigma. Die jetzt ermittelten Werte reichen aber nur für 2,4 Sigma.
„Es ist klar, dass wir noch keinen endgültigen Nachweis für neue Physik gefunden haben. Wir brauchen eine höhere statistische Signifikanz, um das Signal zu bestätigen“, räumt auch Komatsu ein. „Aber es ist toll, dass wir mit unserer neuen Methode diese ‚unmögliche‘ Messung durchführen konnten, die tatsächlich auf neue Physik hinweist.“ Die Forscher hoffen nun, dass ihre Methode in Kombination mit neuen Experimenten und Sensoren zur Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung die nötige Genauigkeit liefern wird. (Physical Review Letters, 2020; doi: 10.1103/PhysRevLett.125.221301)
Quelle: Max-Planck-Institut für Astrophysik, Kavli Institute for the Physics and Mathematics of the Universe, Tokio