Gewagte These: Aus dem interstellaren Raum stammende Brocken könnten die Planetenbildung beschleunigt haben – auch in unserem Sonnensystem, wie nun ein Modell nahelegt. Demnach dringen solche interstellaren Asteroiden häufig in die Materiewolken um junge Sterne ein und dienen dort als Keimzellen für neue Planeten. Dies könnte auch erklären, warum einige Jungsterne schon verblüffend früh große Planeten besitzen, wie die Astronomen berichten.
Im Jahr 2017 entdeckten Astronomen ein zigarrenförmiges Objekt, das mit hoher Geschwindigkeit durch unser Sonnensystem raste. Schnell zeigte sich, dass Oumuamua aus dem interstellaren Raum stammen musste. Offenbar wurde der längliche Brocken einst von seinem Heimat-Sternsystem ausgeschleudert und fliegt seitdem ungebunden durch das All. Seine Entdeckung jedoch weckte die Frage, wie viele solcher interstellarer Objekte es geben könnte.
Billionen interstellare Objekte pro Kubiklichtjahr
Einige Astronomen vermuten, dass sich im interstellaren Raum sogar Unmengen solcher „heimatlosen“ Wanderer verbergen. Denn bei jungen Doppelsternen oder in dichtgedrängten Sternenhaufen sorgen Schwerkraft-Turbulenzen oft dafür, dass Planetenbausteine ins All geschleudert werden, bevor sie zu Planeten heranwachsen können. „Es scheint, dass Planetensysteme ihre Planetesimale so unausweichlich in den interstellaren Raum streuen wie Pusteblumen ihre Samen in den Wind“, sagen Susanne Pfalzner vom Forschungszentrum Jülich und Michele Bannister von der Queen’s University Belfast.
Für die Menge der interstellaren Brocken bedeutet dies: Allein in der Milchstraße könnte es eine Billion solcher Objekte pro Kubiklichtjahr geben – und diese könnten auch durch junge Planetensysteme rasen. „Viele dieser Objekte bewegen sich vermutlich zu schnell, um von protoplanetaren Scheiben eingefangen zu werden“, erklärt Pfalzner. „Und von denen, die gefangen werden, fallen die meisten wahrscheinlich in den Stern hinein.“
Fremdlinge in der Urwolke
Doch rund zehn Millionen dieser interstellaren Objekte könnten von jungen Sternen eingefangen und für längere Zeit in deren Staubscheiben integriert werden, wie die Forscherinnen mithilfe eines astrophysikalischen Modells ermittelten. „Tausende davon sind wahrscheinlich mehr als einen Kilometer groß. Einige wenige könnten die Größe von Zwergplaneten wie Ceres oder Pluto haben – oder wie unser Mond“, sagt Bannister.
Was aber bedeutet die Präsenz dieser „Fremdlinge“ für die protoplanetare Scheibe? Wie die Simulation enthüllte, können diese Objekte die Planetenbildung entscheidend beeinflussen. Denn die im Staub kreisenden Brocken verändern die Strömungen in der Staubscheibe und das wiederum schafft günstige Bedingungen für die Zusammenballung von Staub und kleinen Bröckchen zu immer größeren Objekten.
Keimzellen für neue Planeten
Eine Schlüsselrolle kommt dabei den größeren interstellaren Brocken von mehr als 200 Kilometern Durchmesser zu: Sie fungieren als Keimzellen für die schnelle Anlagerung weiteren Materials – und das beschleunigt die Planetenbildung enorm. „Nach dem üblichen Akkretions-Modell würde es zehntausende Jahre dauern, um aus mikroskopischen Staubpartikeln auch nur auf millimeter- oder zentimetergroße Teilchen zu kommen“, erklärt Bannister. „Die Bildung von erdähnlichen Planeten braucht dann noch einmal viele Millionen Jahre, die von Gasgiganten wie Jupiter sogar noch länger.“
Anders ist dies, wenn interstellare Keimzellen in der protoplanetaren Scheibe präsent sind: „Sie können innerhalb von rund 1.000 Jahren Gesteinsplaneten und Gasriesen erzeugen“, berichten die Forscherinnen. Dieses Szenario könnte auch erklären, warum Astronomen selbst um eigentlich viel zu junge Sterne schon Planeten gefunden haben: Sie hatten möglicherweise interstellare Hilfe.
Versteckte Fremdlinge jenseits des Neptun?
Interessant auch: In unserem Sonnensystem verbergen sich vielleicht noch heute einige interstellare „Fremdlinge“. Denn an seinem Außenrand könnten viele dieser Brocken die turbulente Frühzeit des Planetensystems unbeschadet überdauert haben. „Unserer Hypothese nach könnte die Population der transneptunischen Objekte daher noch einige frühere interstellare Objekte enthalten“, sagen Pfalzner und Bannister.
Tatsächlich haben Astronomen vor kurzem einen Asteroiden in der Jupiterbahn entdeckt, der ursprünglich aus dem interstellaren Raum gekommen sein könnte. Er ist der bisher erste bekannte Vertreter solcher „Dauergäste“ im Sonnensystem. (Astrophysical Journal Letters, 2019; doi: 10.3847/2041-8213/ab0fa0)
Quelle: Forschungszentrum Jülich