Astronomie

Ist Beteigeuze ein kosmischer Kannibale?

Schulterstern des Orion könnte vor 100.000 Jahren seinen Begleiter verschlungen haben

Ein Roter Überriese am Ende seines Lebens: Beteigeuze (Illustration) © ESO / L. Calçada

Stellarer Kannibalismus? Der Schulterstern des Orion gibt den Astronomen Rätsel auf. Denn der Rote Überriese Beteigeuze rotiert 150 Mal schneller als er eigentlich dürfte, wie eine neue Messung ergab. Forscher spekulieren nun, ob eine kosmische Katastrophe dahintersteckt: Als Beteigeuze sich vor rund 100.000 Jahren zum Überriesen aufblähte, könnte er einen sonnenähnlichen Begleitstern verschlungen haben.

Beteigeuze gehört zu den prominentesten Sternen am winterlichen Nachthimmel: Der Rote Überriese bildet eine der Schultern des Sternbilds Orion. Schon länger ist bekannt, dass dieser Stern kurz vor seinem Ende als Supernova steht: Er ist auf den 660-fachen Durchmesser der Sonne aufgebläht und hat schon große Mengen an Material ausgestoßen.

Viel zu schnell

Doch wie sich jetzt zeigt, hat Beteigeuze eine weitere Besonderheit: Der sterbende Stern rotiert schneller als er eigentlich dürfte. Das stellten J. Craig Wheeler und seine Kollegen von der University of Texas in Austin fest, als die mit Hilfe eines speziellen Programms die Rotation des Überriesen erstmals genauer maßen.

Die Astronomen kamen auf eine Rotation von 15 Kilometern pro Sekunde. „Wir können diese Rotation von Beteigeuze nicht erklären“, sagt Wheeler. „Er dreht sich 150 Mal schneller als jeder andere Einzelstern in dieser Kategorie.“ Normalerweise werde ein Stern langsamer, wenn er sich zum Riesen aufblähe – ähnlich wie ein Eiskunstläufer, der bei einer Pirouette die Arme ausstreckt. Doch bei Beteigeuze ist dies nicht der Fall.

Hat Beteigeuze eine Sonne verschluckt?

Aber warum? Die Forscher testeten mit Hilfe ihres Computermodells mehrere Erklärungsmöglichkeiten durch, doch keines schien zu passen. Dann kam Wheeler auf eine ziemlich ausgefallene Idee: „Was wäre, wenn Beteigeuze früher einen Begleiter hatte?“, spekuliert er. „Nehmen wir an, dieser Partnerstern hatte eine Umlaufbahn, die so groß war wie heute Beteigeuze. Als Beteigeuze dann zu einem Roten Überriesen wurde, verschluckte er dabei seinen Partner.“

In dieser Infrarot-Aufnahme des Spitzer-Weltraumteleskops sind die asymmetrischen Schalen des ausgeschleuderten Sternenmaterials zu erkennen. © L.Decin/Universität Leuven/ ESA

Die Aufnahme von so viel Masse könnte die ungewöhnlich schnelle Rotation des Überriesen erklären, sagt Wheeler. Denn der verschluckte Stern würde den Drehimpuls seines Orbits auf die äußere Hülle von Beteigeuze übertragen – und so dessen Rotation beschleunigen. Um diesen Anschiebe-Effekt zu erzielen, müsste der frühere Begleitstern etwa die gleiche Masse wie die Sonne gehabt haben. Seine Absorption müsste vor rund 100.000 Jahren stattgefunden haben.

Verräterische Gashülle

So weit die interessante Hypothese, aber gibt es dafür auch Belege? Wie die Astronomen erklären, ist es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass Beteigeuze einst einen Begleiter hatte: Die Mehrheit aller Sterne ist Teil eines Mehrfachsystems. „Beteigeuze selbst hat immerhin eine 20 prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er einst in einem Doppelsternsystem geboren wurde“, so die Forscher.

Ein Indiz für das Verschlucken des kleineren Begleiters könnte die schalenförmige Hülle aus glühenden Gasen bilden, die 2012 vom Herschel-Weltraumteleskop nahe bei Beteigeuze entdeckt worden war. Die Aufnahmen zeigen, dass auf einer Seite des Überriesen zwei Zonen mit ausgeschleudertem Sternenmaterial existieren.

Sternenrest statt Supernova-Vorboten?

Bisher wurden diese Schalen als Vorboten der kommenden Supernova-Explosion gedeutet – auch wenn einige ihrer Merkmale nicht ganz dazu passen. Doch nach Ansicht von Wheeler könnte Beteigeuze dieses Material auch beim Verschlucken des kleineren Begleitsterns ausgeschleudert haben. Die schalenförmigen Hüllen liegen ziemlich genau in dem Abstand, in dem man sie nach einem solchen Ereignis erwarten würde, so der Forscher.

„In jedem Fall gibt es Belege dafür, dass Beteigeuze vor rund 100.000 Jahren eine Störung erlebte – genau zu der Zeit, als er sich zum Roten Überriesen aufblähte“, so Wheeler. Seiner Ansicht nach könnte ein zu dieser Zeit verschluckter Begleitstern sowohl diese Störung als auch die heutige, „zu schnelle“ Rotation des Überriesen erklären.

Wheeler und sein Team hoffen nun, den Roten Überriesen mit der Methode der Asteroseismologie näher untersuchen zu können. Bei dieser erlauben winzige Erschütterungen und durch den Stern laufende Schallwellen Rückschlüsse darauf, wie das Innenleben des Himmelskörpers aussieht. Möglicherweise finden sich dabei Relikte des verschlungenen Sterns. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2016)

(The University of Texas at Austin, 22.12.2016 – NPO)

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