Von wegen kalt und tot: Auf dem Mond könnte es noch heute aktive Verwerfungen geben – frische Falten in der Mondkruste. Hinweise darauf liefert ein auffälliges Muster von Rissen und Steilstufen, die wärmer sind als ihre Umgebung, und auf denen kein Mondstaub liegt. Diese Verwerfungen liegen genau dort, wo Schwerkraftanomalien auf tiefe Magmagänge hindeuten, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Geology“ berichten.
Der Mond galt lange als toter, geologisch inaktiver Himmelskörper. Zwar zeugen die großen, basaltgefüllten Mondmeere, viele Lavahöhlen und sogar einige geologisch relativ junge Vulkane davon, dass der Erdtrabant einst vulkanisch aktiv war. Doch heute ist sein Inneres längst erkaltet und erstarrt. Eine aktive Tektonik oder sonstige Bewegungen dürfte es daher nicht mehr geben – eigentlich.
Steilstufen und Faltungen
Merkwürdig nur: Schon die Seismometer der Apollo-Missionen registrierten immer wieder leichte Mondbeben. Zudem gibt es Steilstufen und Faltungen auf der Mondoberfläche, die auffallend selten von frischen Kratern unterbrochen werden. Schon 2015 vermuteten Forscher deshalb, dass diese Verwerfungen keine Urzeit-Relikte sein können, sondern teilweise jünger als 50 Millionen Jahre alt sein müssen.
Doch was hat diese Falten verursacht? Und sind sie womöglich heute noch aktiv? Das haben nun Adomas Valantinas von der Universität Bern und Peter Schultz von der Brown University untersucht. Für ihre Studie analysierten die Forscher Infrarot-Daten und hochaufgelöste Kameraaufnahmen der Mondoberfläche, die die NASA-Raumsonde Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) gesammelt hatte.
Kein Mondstaub und anomal warm
Die Daten enthüllten: Dort, wo die Steilstufen und Verwerfungen die Mondoberfläche durchziehen, fehlt an vielen Stellen der sonst allgegenwärtige Mondstaub. Stattdessen liegt der blanke Felsuntergrund frei. „Normalerweise bildet sich ständig neuer Regolith, deshalb bleiben freiliegende Felsblöcke nicht lange unbedeckt“, erklärt Schultz. „Es muss deshalb eine Erklärung dafür geben, warum sie an bestimmten Stellen trotzdem existieren.“
Und nicht nur das: Die Infrarot-Daten zeigten, dass die Verwerfungen und Falten vielerorts wärmer sind als ihre Umgebung. Während der kalten Mondnacht strahlen sie messbar mehr Infrarotstrahlung ab. Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass diese Verwerfungen jung und aktiv sein müssen. Wie sie feststellten, erstreckt sich das Muster dieser warmen Zonen quer durch die basaltgefüllten Mare der lunaren Oberfläche.
Verwerfungen liegen über tiefen Magma-Adern
Doch was steckt dahinter? Einige dieser am Rand großer Mare liegenden Verwerfungen waren schon bekannt und gelten als urzeitliche Grabenbrüche. Sie entstanden wahrscheinlich, als sich das erkaltende Gestein im Mondmeer zusammenzog und am Rand Spannungsrisse aufbrachen. Doch die meisten der jetzt neu identifizierten Faltungen liegen abseits dieser Zonen und durchqueren sowohl die Mare als auch das lunare Hochland, wie Valantinas und Schultz berichten.
„Die Verteilung, die wir hier gefunden haben, verlangt nach einer anderen Erklärung“, sagt Schultz. Auf der Suche nach einer Ursache für die frischen Faltungen analysierten die Forscher lunare Schwerefeld-Daten der GRAIL-Mission – und wurden fündig. Wie sie feststellten, liegen die von ihnen gefundenen „warmen“ Verwerfungen fast immer dort, wo die GRAIL-Daten auf die Existenz tiefer Magma-Adern hindeuten.
„Es ist fast eine 1:1-Korrelation“, sagt Schultz. „Das lässt uns vermuten, dass wir hier einen anhaltenden Prozess sehen, der durch Vorgänge im Mondinneren angetrieben wird.“ Demnach könnte die Kruste über diesen alten Magma-Intrusionen bis heute angehoben werden. Dies führt zu Brüchen im Gestein, Steilstufen und dem Wegrutschen des allesbedeckenden Mondstaubs – und damit zu lokal aktiven tektonischen Veränderungen. Die Forscher bezeichnen diese lunare Tektonik als „Active Nearside Tectonic System (ANTS).
Gewaltiger Einschlag als Auslöser – Reaktion bis heute
„Es herrscht die Annahme, dass der Mond lange tot ist, aber wir stellen immer wieder fest, dass dies nicht der Fall ist“, sagt Schultz. „Stattdessen scheint der Mond noch immer zu falten und zu brechen – potenziell bis zum heutigen Tag. Den Beleg dafür sehen wir in diesen Verwerfungen.“
Die Forscher vermuten, dass die Magmaeinströme, die diese aktive Tektonik antreiben, vor langer Zeit durch einen gewaltigen Einschlag auf dem Mond ausgelöst wurden – möglicherweise sogar dem Impakt, der das enorme Southpole-Aitken-Becken hinterließ. Die Schockwellen dieses Ereignisses zerrissen auch auf der gegenüberliegende Seite das Gestein des Mondinneren und bahnte so dem Magma den Weg in die Kruste.
„Diese Faltungen reagieren damit auf etwas, das schon vor 4,3 Milliarden Jahre geschah – der Mond hat ein langes Gedächtnis“, sagt Schultz. Denn heuet ist dieses Magma längst erstarrt, trotzdem verursacht seine Gegenwart bis heute Anpassungsbewegungen des lunaren Gesteins. (Geology, 2020; doi: 10.1130/G47202.1)
Quelle: Brown University