Zerstört statt gestreift? Die Erde könnte in ihrer Frühzeit eine noch dramatischere Kollision erlebt haben als gedacht – sie könnte sogar komplett zerstört worden sein. Einer neuen Theorie zufolge traf der marsgroße Protoplanet Theia unseren Planeten damals so heftig, dass beide zu einer glühenden Trümmerwolke wurden. Aus dieser Wolke entstand dann zuerst der Mond und dann eine neue Erde – das jedenfalls besagt ein neues Modell.
Unser Mond verdankt seine Existenz höchstwahrscheinlich einer kosmischen Katastrophe. Bei dieser kollidierte vor rund 4,5 Milliarden Jahren ein marsgroßer Protoplanet mit der jungen Erde. Dabei wurde der Impaktor komplett zerstört und aus den Trümmern bildete sich der Erdmond – so die gängige Theorie.
Unerklärliche Ähnlichkeit
Doch dieses Szenario hat einen entscheidenden Haken: Mond und Erde sind sich zu ähnlich. Wäre der Mond tatsächlich aus den Trümmern eines Protoplaneten entstanden, dürften sich die Isotopensignaturen der Gesteine nicht so stark gleichen. Denn jeder Himmelskörper im Sonnensystem hat seine eigene, typische Isotopensignatur, selbst Asteroiden.
Um dieses Dilemma zu lösen, haben Forscher verschiedene Erklärungsansätze entwickelt. Einem zufolge könnte der Protoplanet chemisch-physikalisch gesehen ein Erdzwilling gewesen sein, einer anderen Theorie nach verdampfte bei der Kollision auch ein größerer Teil der Erde – was die Ähnlichkeit erklären soll.
Zur Wolke verdampft
Noch einen Schritt weiter gehen nun Simon Lock von der Harvard University und seine Kollegen. Denn sie glauben, dass bei der Kollision sogar die gesamte Erde zerstört wurde. Ein direkter Treffer des marsgroßen Protoplaneten ließ sowohl den Impaktor als auch unseren Planeten teils verdampfen, teils schmelzen.
Es entstand eine Synestia – eine gewaltige, durch die Rotation zu einem Ring geformte Wolke aus etwa zehn Prozent gasförmigem Gestein vermischt mit glühenden Gesteinströpfchen. „Diese Synestia war gewaltig, sie könnte zehnmal so groß gewesen sein wie die Erde“, erklärt Lock. „In dieser Wolke herrschten Temperaturen von 2.200 bis 3.300 Grad Celsius und Drücke von Dutzenden Atmosphären.“
Mond kondensiert innerhalb der Wolke
Schon kurz nach der Kollision aber begann sich diese Wolke zu verändern: Weil die äußeren Bereiche sich schneller abkühlten als die inneren, nahm dort der Druck langsam ab. Aus dem Gesteinsdampf kondensierten Tröpfchen. Diese fielen wie ein glühender Regen in dichtere, innere Bereiche der Synestia. Dort kondensierte an diesen Tropfen weiterer Gesteinsdampf und aus den Tropfen wurden allmählich kleine Klumpen.
Während die Trümmerwolke weiter abkühlte, ballten sich einige dieser Klumpen seitlich vom Zentrum der Wolke zu einem größeren Gebilde zusammen – dem Protomond. „Mit der Zeit zog sich die gesamte Synestia weiter zusammen und der Mond tauchte aus der Wolke auf“, erklärt Lock. Denn der Protomond blieb in seiner Bahn, während die Gesteinswolke immer kleiner wurde. „Schließlich kondensierte die gesamte Synestia zu einer Kugel als rotierendem flüssigen Gestein – aus ihr wurde die Erde“, so der Forscher.
Modell könnte die Mond-Gleichheit erklären
Dieses Szenario unterscheidet sich in zwei Aspekten fundamental von der gängigen Theorie: Zum einen geht sie von einer völligen Zerstörung der Erde aus. Zum anderen aber postuliert sie die Bildung des Mondes innerhalb der gleichen Wolke, aus der sich später auch die Erde regenerierte. „Man kann sich nur schwer vorstellen, dass sich ein Trabant innerhalb eines anderen Himmelskörpers beziehungsweise seiner Vorstufe formte – aber genau das scheint damals geschehen zu sein“, so Lock.
Das Spannende daran: Wenn Mond und Erde aus der gleichen Gesteinswolke entstanden, dann könnte das erklären, warum beide sich so ungewöhnlich ähnlich sind. „Unser Modell kann Eigenschaften des Mondes erklären, die mit dem bisherigen Szenario schwer zu vereinbaren sind“, sagt Koautorin Sarah Stewart von der University of California in Davis. Zudem sei eine komplett zerstörerische Kollision weitaus wahrscheinlicher als der für das gängige Modell nötige Streifschuss: „Es gibt nur ein kleines Fenster von Einschlagswinkeln und eine sehr begrenzte Bandbreite von Impaktorgrößen, bei denen die gängige Theorie funktioniert“, sagt Lock.
Noch gibt es offene Fragen
Noch haben die Forscher allerdings nur die Grundzüge ihres neuen Szenarios durchgerechnet. „Wir haben gezeigt, dass dieses Modell funktioniert, aber es gibt noch einige Aspekte unserer Theorie, die näher untersucht werden müssen“, räumt Lock ein. Hinzu kommt: Bisher ist die Bildung einer Synestia bei der Kollision von Himmelskörpern noch nie im Kosmos beobachtet worden – auch sie ist bisher reine Theorie. (Journal of Geophysical Research – Planets, 2018; doi: 10.1002/2017JE005333)
(Harvard University, University of California – Davis, 05.03.2018 – NPO)