Astronomie

Ist Earendel ein Doppelstern?

Helligkeit und Farbe des ältesten beobachteten Sterns im Kosmos geben Rätsel auf

Earendel, der Morgenstern
Diese Aufnahme des James-Webb-Teleskops zeigt den Stern Earendel, der schon vor 12,9 Milliarden Jahren existierte. Er ist der bisher früheste je direkt beobachtete Stern. © NASA/ESA/CSA, Dan Coe

„Morgenstern“ des Kosmos: Earendel ist der älteste direkt beobachtete Stern im frühen Kosmos. Jetzt verraten neue Aufnahmen des James-Webb-Teleskops mehr über diesen schon vor 12,9 Milliarden Jahren existierenden Stern. Demnach ist Earendel mehr als doppelt so heiß wie die Sonne und strahlt millionenfach heller. Sein Spektrum zeigt jedoch eine schwer erklärbare Anomalie. Sie könnte darauf hindeuten, dass Earendel ein Doppelstern ist, wie die Astronomen berichten. Aber auch dann bleiben Fragen offen.

Die „Morgendämmerung“ des Kosmos begann rund 250 Millionen Jahre nach dem Urknall, als die ersten Sterne entstanden und das junge Universum erleuchteten. Erst mit ihnen begann eine Entwicklung, durch die die meisten Elemente entstanden, die ersten Planetensysteme und letztlich auch wir. Doch wie sahen diese ersten Sterne aus? Bisher können Astronomen dies nur anhand von astrochemischen „Fingerabdrücken“ dieser ersten Sterngeneration abschätzen.

Earendel
Der Lichtpunkt von Earendel ist nur sichtbar, weil ein massereicher Galaxiencluster im Vordergrund sein Licht verstärkt. © NASA/ESA/CSA, Dan Coe (STScI/AURA for ESA, JHU), Brian Welch (NASA-GSFC, UMD)

Erstes Infrarot-Spektrum des „Morgensterns“

Doch im März 2022 gelang es Astronomen erstmals, einen Stern aus der Frühzeit des Kosmos direkt abzubilden: Earendel, der „Morgenstern“ des Kosmos, ist 12,9 Milliarden Jahre alt und existierte schon 900 Millionen Jahre nach dem Urknall. Sichtbar wurde dieser Stern dank der scharfen Optiken des Hubble-Teleskops in Kombination mit dem Gravitationslinseneffekt: Ein Galaxiencluster im Vordergrund schob sich so zwischen das Teleskop und den fernen Stern, dass seine Schwerkraft dessen Licht stark verstärkte.

Jetzt hat das Team um Brian Welch von der Johns Hopkins University den fernen „Morgenstern“ erstmals mit dem James-Webb-Weltraumteleskop ins Visier genommen. Mithilfe der Nahinfrarot-Kamera NIRCam analysierten sie das Licht von Earendel in acht Bereichen von 0,8 bis fünf Mikrometer Wellenlänge. Die Spektralanalysen bestätigen die Entfernung des Sterns und auch, dass es sich bei diesem winzigen Lichtpunkt nicht um einen Galaxienkern oder ähnliches nichtstellares Objekt handelt.

Rätselhafte Anomalien im Spektrum

Das Spektrum liefert erste Informationen zu Masse, Helligkeit und Temperatur von Earendel. Demnach könnte dieser Stern eine Oberflächentemperatur von 13.000 bis 16.000 Kelvin haben – und wäre damit gut doppelt so heiß wie unsere Sonne. Seine Leuchtkraft liegt bei 5,8 bis 6,6 auf der logarithmischen Leuchtkraftskala. Damit strahlt Earendel etwa eine Million Mal heller als die Sonne. „Diese Werte liegen in dem Bereich, den man für leuchtstarke, veränderliche Blaue Sterne erwarten würde“, berichten Welch und seine Kollegen.

Das Merkwürdige jedoch: Earendel zeigt einige Anomalien, die nicht zu einem solchen Blauen Riesen passen. Denn sein Lichtspektrum umfasst zwei normalerweise nicht gemeinsam auftretende Merkmale. „Sein Energiespektrum zeigt sowohl einen relativ starken Balmer-Sprung, wie er für Sterne mit Temperaturen unter 13.000 Kelvin typisch ist, als auch das steile ultraviolette Kontinuum von Sternen mit mehr als 20.000 Kelvin“, berichten die Astronomen. Als Balmer-Sprung wird ein abrupter Anstieg im Spektrum bezeichnet, der nach dem Wellenlängenbereich des Wasserstoffs auftritt.

Spektrum von Earendel
Das Spektrum von Earendel (grün) ist mit einem einzigen Stern nur schwer zu erklären. Denkbar wäre aber, das die Strahlung von zwei stellaren Partnern eines Doppelsternsystems stammt. © Welch et al./ The Astrophysical Journal Letters, CC-by 4.0

Zwei Sterne statt einem?

Damit zeigt Earendel gleichzeitig Merkmale eines kühlen, eher rötlichen Sterns und eines heißen Blauen Riesen. Selbst der Einfluss von Staub oder ungewöhnliche Sternenmerkmale können diese Diskrepanzen nicht erklären, wie Welch und sein Team berichten. Ihrer Ansicht nach könnte dies darauf hindeuten, dass sich hinter dem Lichtpunkt von Earendel nicht einer, sondern mehrere Sterne verbergen.

„Es ergibt sich die verlockende Möglichkeit, dass mindestens zwei Sterne unterschiedlicher Temperatur signifikant zum beobachteten Energiespektrum von Earendel beitragen“, schreiben die Astronomen. „Dies könnte die gleichzeitige Präsenz des starken Balmer-Sprungs und des steilen UV-Kontinuums erklären.“ Ein zu den Spektraldaten passendes Duo könnte aus einem kühleren, rötlichen Stern mit einer Oberflächentemperatur von rund 9.000 Kelvin und einem etwa gleich hellen, aber deutlich heißeren blauen Partnerstern mit rund 34.000 Kelvin bestehen.

Szenario bleibt ungewöhnlich

Allerdings: Auch dieses Szenario lässt noch einige Fragen offen. „Unsere Kombination aus einem kühlen, hellen Stern gepaart mit einem heißen, gleichhellen Partner wäre ein eher ungewöhnliches Szenario der Sternenevolution“, schreiben Welche und seine Kollegen. „Denn typischerweise würde man erwarten, dass der weiter entwickelte, kühlere Stern das massereichere, hellere Objekt ist.“ Es könnte jedoch sein, dass einer der beiden Sterne doch etwas leuchtschwächer ist. Denn je nach Bahnposition kann die Gravitationslinse zwei solche Sternpartner leicht unterschiedlich vergrößern.

Noch reicht die Auflösung der Aufnahmen und des Spektrums nicht aus, um eindeutig festzustellen, ob Earendel ein Doppelstern ist oder nicht. Die Astronomen hoffen aber, dass Untersuchungen des Sterns mit dem hochauflösenden Nahinfrarot-Spektrometer NIRSpec des James-Webb-Teleskops mehr Klarheit bringen werden. Diese Beobachtungen wurden im Dezember 2022 durchgeführt, die Auswertung läuft jedoch noch. (The Astrophysical Journal Letters, 2023; doi: 10.3847/2041-8213/ac9d39)

Quelle: Space Telescope Science Institute

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Das Schicksal des Universums - Eine Reise vom Anfang zum Ende von Günther Hasinger

Geheimnisvoller Kosmos - Astrophysik und Kosmologie im 21. Jahrhundert von Thomas Bührke und Roland Wengenmayr

Kosmische Reise - Von der Erde bis zum Rand des Universums von Stuart Clark

Top-Clicks der Woche