Wie ein Schuss durchs Nadelöhr: Heute Nacht und morgen wird die ESA-Raumsonde JUICE über unseren Köpfen ein gewagtes Doppelmanöver absolvieren – eine Premiere in der Raumfahrt. Die Sonde wird erst den Mond in nur 750 Kilometer Höhe überfliegen, dann morgen Nacht der Erde bis auf 6.800 Kilometer nahekommen – sie könnte dabei mit Fernglas oder Teleskop sichtbar werden. Dieser gekoppelte Vorbeiflug an Mond und Erde ist auch das erste doppelte „Gravity-Assist“-Manöver der Raumfahrt.
Die im April 2023 gestartete ESA-Raumsonde JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer) ist auf dem Weg zu den Eismonden des Jupiter. Sie soll erstmals genauer erkunden, ob sich unter den Oberflächen von Ganymed, Europa und Kallisto tatsächlich subglaziale Ozeane verbergen und welche Eigenschaften diese haben. Bis zu ihrer Ankunft im Jupitersystem ist JUICE rund acht Jahre unterwegs, wird mehrfach Schleifen durch das halbe Sonnensystem fliegen und rund 778 Milliarden Kilometer zurücklegen.
Zwar ist der Jupiter im Schnitt „nur“ rund 800 Millionen Kilometer von uns entfernt, aber um ihn auf direktem Wege anzusteuern, müsste die Raumsonde laut ESA mehr als 60.000 Kilogramm Treibstoff mitnehmen. Durch die komplexe Bahn und mehrere sogenannte „Gravity-Assist“-Manöver kann JUICE jedoch Treibstoff sparen und dennoch das Jupitersystem erreichen.
Extreme Präzision nötig
Heute Nacht steht ein besonders riskantes und noch nie zuvor durchgeführtes Manöver an: JUICE wird innerhalb von nur gut 24 Stunden erst nah am Mond, dann nah an der Erde vorbeifliegen – mit 15.000 Kilometern pro Stunde. Dabei muss die Sonde mit genau der richtigen Geschwindigkeit zum richtigen Zeitpunkt in der präzisen Richtung fliegen, damit das Manöver gelingt. Bisher hat keine andere Weltraumorganisation dieses Doppel-Manöver durchgeführt.
JUICE-Operationsmanager Ignacio Tanco von der ESA vergleicht dies mit einem Schuss durch ein Nadelöhr oder der Fahrt mit einem Rennwagen durch eine sehr enge Gasse: „Wir geben maximal Gas, während zu beiden Seiten der Straße nur Millimeter Platz bleiben.“ Hinzu kommt: Ausgerechnet in den kritischen 38 Minuten vor dem Mond-Vorbeiflug heute Nacht um 23:16 Uhr unserer Zeit durchfliegt JUICE den Mondschatten und hat eine halbe Stunde lang keinen Kontakt zur Erde. Kurz darauf wird sie in nur 750 Kilometer Abstand die Mondoberfläche überfliegen.
Ein Lichtpunkt über unseren Köpfen
Morgen Nacht folgt der zweite Akt des Doppelmanövers – über unseren Köpfen. Wenn der Mond-Vorbeiflug von JUICE gelungen ist, wird die Raumsonde kurz vor Mitternacht in nur 6.800 Kilometer Höhe über die westliche Hemisphäre der Erde hinwegfliegen. Mit etwas Glück ist sie dabei sogar für uns sichtbar. Mit einem leistungsstarken Fernglas oder einem Teleskop könnte die Sonde als schnell wandernder Lichtpunkt auch von Europa aus zu sehen sein.
Das gewagte Doppelmanöver ist nötig, um die Jupitersonde auf ihre nächste Schleife durch das innere Sonnensystem zu lenken. Durch das Eintauchen in die Schwerkraftsenken von Mond und Erde wird JUICE erst abgebremst, dann wieder beschleunigt. Gleichzeitig ändert sich ihre Flugrichtung so, dass sie in Richtung Venus weiterfliegt – ohne dass sie für diese Kursänderung ihre Triebwerke zünden und Treibstoff verbrauchen muss.
Troubleshooting am Radarinstrument
Während der doppelten Passage wird die EA alle zehn wissenschaftlichen Instrumente der Raumsonde erstmals seit dem Start von JUICE Messungen anzuschalten. „Für einige der Instrumente ist dies während der acht Jahre langen Reise zum Jupiter die einzige Gelegenheit, bestimmte Testmessungen durchzuführen“, erklärt die ESA. „Dies gibt Wissenschaftlern und Ingenieuren die Chance, ihre Instrumente zu kalibrieren, noch einige letzte Macken auszubügeln und vielleicht sogar dabei neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.“
Besonders wichtig könnten diesen Tests für das von Problemen geplagte Radarinstrument RIME sein. Denn die 16 Meter lange, beim Start eingeklappte Antenne ließ sich zunächst nicht entfalten. Erst mit Wochen Verspätung und durch ein riskantes Manöver klappte die Radarantenne dann doch noch aus. Hinzu kommt, dass die Messungen des Radarinstruments bisher durch elektronische Störeffekte beeinträchtigt wurden, deren Ursprung bisher nicht geklärt werden konnte. Die ESA will den nahen Mondvorbeiflug nutzen, um an einer Lösung zu arbeiten.
Test für Kamera, Laser-Höhenmesser und Magnetometer
Ebenfalls bei der Mondpassage aktiv werden zwei unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt entwickelte Instrumente sein, das Kamerasystem JANUS und den Laser-Höhenmesser GALA. Während des Vorbeiflugs am Mond wird die JANUS-Kamera die Mondoberfläche mit einer Auflösung von rund 13 Meter pro Bildpunkt aufnehmen. Das Laser-Altimeter GALA wird gleichzeitig die lunare Oberfläche mit rund 30 Laserpulsen pro Sekunde abtasten, um ein Höhenprofil zu erstellen.
Das Magnetometer der JUICE-Sonde wird während des Doppelmanövers ebenfalls Messungen durchführen. Wenn diese bei ihrer Erd-Passage tief in das irdische Magnetfeld eintaucht, wird sie Magnetmesswerte von mehr als 4.000 Nanotesla registrieren. „Das ist um den Faktor Tausend größer als bei früheren Überprüfungen und ermöglicht eine perfekte Simulation der Feldbedingungen, wie wir sie später auch in der Umlaufbahn um den Jupitermond Ganymed vorfinden werden“, erläutert Werner Magnes von Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Erst der Anfang ihrer Reise
Für die Jupitersonde JUICE steht der Doppel-Vorbeiflug aber erst am Beginn ihrer langen, komplexen Reise zu ihrem fernen Ziel. In den kommenden Jahren wird sie noch drei weitere nahe Vorbeiflüge – einmal an der Venus und zweimal an der Erde – absolvieren, um Schwung für ihren Flug ins äußere Sonnensystem zu nehmen. Im Jahr 2031 wird sie dann das Jupitersystem erreichen und nach einigen Jahren der Erkundung dann 2035 in eine Umlaufbahn um Ganymed einschwenken.
Quelle: European Space Agency (ESA), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Weltraumforschung ÖAW