Drastischer Wandel: Der Eismond Europa hat eine abrupte Polwanderung durchlebt – seine gesamte Eiskruste verrutschte um rund 70 Grad. Davon zeugen die Rissmuster in der Kruste des Eismonds. Dies bestätigt nicht nur, dass Europas Eisschicht frei auf einem flüssigen Ozean schwimmt. Das geringe Alter vieler Risse spricht auch dafür, dass die Polwanderung nur wenige Millionen Jahre zurückliegen kann, wie die Forscher berichten.
Der Jupitermond Europa gilt als einer der vielversprechendsten Orte für außerirdisches Leben im Sonnensystem. Denn unter seiner Eiskruste verbirgt sich ein Ozean aus flüssigem Wasser. Dieses wird durch die Gezeitenkräfte des nahen Gasriesen Jupiter erwärmt und erhält durch das ständige Abtauchen und Aufschmelzen von Teilen der Eiskruste Nährstoffe und Mineralien. Die Kruste des Eismonds ist dadurch eher jung und schon häufig umgeformt worden.
Rissmuster spricht für globale Krafteinwirkung
Neue Hinweise auf einen drastischen, abrupten Wandel auf dem Eismond haben nun Paul Schenk vom Lunar and Planetary Institute (LPI) in Houston und sein Team entdeckt. Für ihre Studie hatten sie die bis zu 300 Kilometer langen Risse untersucht, die die Eiskruste von Europa durchziehen. „Diese Risse bestehen aus parallelen, zehn bis 20 Kilometer weit auseinanderliegenden Verwerfungen, sind ein bis zwei Kilometer breit und bis zu 200 Meter tief“, so die Forscher.
Folgt man dem Verlauf dieser Risse, fällt ihr häufig gebogener, fast kreisförmiger Verlauf auf. Bereits im Jahr 2008 vermuteten Planetenforscher anhand der Rissmuster, dass Europa in der Vergangenheit eine Polwanderung durchlebt haben muss. Ein solcher echter Polsprung kommt zustande, wenn sich die Kruste eines Himmelskörpers gegen sein Inneres und damit auch gegen die Magnet- und Rotationsachse verschiebt. Der Saturnmond Enceladus und auch der Mars könnten eine solche Krustenverschiebung erfahren haben.
Um 70 Grad gekippt
Jetzt liefern Schenk und sein Team neue Belege dafür, dass auch der Jupitermond Europa einen solchen Polsprung erlebte. Für ihre Studie werteten sie globale Karten des Eismonds aus, die auf Basis von Aufnahmen der Raumsonden Voyager und Galileo erstellt worden waren. Dies bestätigte die kreisförmigen Rissmuster auf Europa und ihre Übereinstimmung mit Spannungsmustern, wie sie bei einem starken und abrupten Verrutschen der Kruste auftreten würden.
Aus den Rissmustern schließen die Forscher, dass sich die Eiskruste von Europa um rund 70 Grad gegenüber der Rotationsachse des Mondes verschoben haben muss. „Die meisten beobachteten Strukturen sind in Bezug auf die Belastungen nicht mehr in ihrer ursprünglichen Konfiguration“, so Schenk und sein Team. „Alle Merkmale müssen sich mehr als 70 Gad von dem Ort fortbewegt haben, an dem sie zuerst gebildet wurden.“
Polsprung liegt noch nicht lange zurück
Die Aufnahmen lieferten auch erste Hinweise darauf, wann dieser Polsprung stattgefunden hat. Denn sie zeigten, dass die Verwerfungen und Brüche selbst relativ junge Landschaftsformen der Eiskruste wie frische Einschlagskrater durchziehen. „Die Risse schneiden durch alle bekannten Terrain-Formen des Monds, darunter auch die hellen Auswürfe des Einschlagskrater Manannan“, berichten die Forscher. „Das bedeutet, dass das Polsprung-Ereignis jüngeren Datums ist.“
Nach Schätzung von Schenk und seinem Team ist die Kruste von Europa demnach erst innerhalb der letzten wenigen Millionen Jahren verrutscht. „Diese Risse und damit auch die Polwanderung gehören zu den jüngsten geologischen Ereignissen auf Europa“, so die Forscher. „Das bedeutet auch, dass die Lage vieler älterer Landschaftsformen heute keinen Rückschluss mehr darüber erlaubt, durch welche Prozesse sie einst entstanden sind. „Das erfordere eine komplette Neubewertung der tektonischen Geschichte von Europa“, konstatieren Schenk und sein Team.
Was jedoch den Polsprung auf dem Eismond ausgelöst hat, ist bislang offen. Mehr Aufschluss erhoffen sich die Wissenschaftler von der NASA-Raumsonde Europa Clipper, die Ende der 2020er Jahre zum Jupitermond starten soll. (Geophysical Research Letters, 2020; doi: 10.1029/2020GL088364)
Quelle: Lunar and Planetary Institute