Unsichtbarer Winzling: Astronomen haben das bislang kleinste Schwarze Loch der Milchstraße entdeckt. Es wiegt gerade einmal drei Sonnenmassen und liegt nur 1.500 Lichtjahre von uns entfernt – es könnte damit das erdnächste Schwarze Loch sein. Aufgespürt haben die Forscher das unsichtbare und inaktive „dunkle Einhorn“ nur deshalb, weil seine Schwerkraft die Bahn seines Begleiters, eines Roten Riesen, beeinflusst.
Stellare Schwarze Löcher entstehen, wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebenszyklus in einer Supernova explodiert. Der Sternenkern kollabiert dann je nach Masse entweder zu einem extrem dichten Neutronenstern oder aber er wird zu einem Schwarzen Loch. Doch wo die Grenze zwischen beiden liegt und wie klein ein Schwarzes Loch werden kann, ist bislang unklar.
Einer der Hauptgründe dafür: Kleine, nicht aktiv Materie einsaugende Schwarze Löcher sind für Astronomen und ihre Messinstrumente unsichtbar. Selbst wenn diese stellaren Schwarzen Löcher Teil eines Doppelsystems sind, ist ihre Existenz am Verhalten ihrer Partner oft nicht ablesbar. Wie viele von ihnen es in der Milchstraße gibt und welche Massen diese unsichtbaren, nicht interagierenden Schwarzen Löcher haben, ist daher weitgehend unbekannt.
Roter Riese mit schwankender Helligkeit
Doch jetzt haben Astronomen einen dieser verborgenen Winzlinge aufgespürt – ganz in unserer Nähe. Denn das Objekt verbirgt sich im Orbit um einen hellen Roten Riesen, der nur 1.500 Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Monocerus (Einhorn) liegt. Dieser massereiche Riesenstern, V723 Mon, ist schon lange als veränderlicher Stern mit schwankender Helligkeit bekannt. Warum sich seine Lichtkurve jedoch regelmäßig verändert, war unklar.
Um das zu klären, haben die Forschenden um Tharindu Jayasinghe Beobachtungsdaten von mehreren Teleskopen in verschiedenen Wellenbereichen des Lichts ausgewertet. Sie nutzten unter anderem Bewegungsdaten des Gaia-Satelliten der ESA, Spektraldaten der NASA-Weltraumteleskope TESS und Swift, sowie von mehreren erdbasierten Spektrografen.
Einfluss eines unsichtbaren Begleiters
Es zeigte sich: Sowohl das Lichtspektrum als auch die daraus ermittelte Radialgeschwindigkeit und Form des Roten Riesen deuten auf den Schwerkrafteinfluss eines Begleiters hin. „Wir finden aber keinerlei Hinweise auf einen Licht emittierenden Begleiter und können auch einen Hauptreihenstern oder ein Sternenpaar als Begleitobjekt ausschließen“, berichtet das Forschungsteam. Stattdessen müsse es sich um ein kompaktes, aber dunkles Objekt handeln.
Nach Ansicht der Astronomen ist die einfachste Erklärung für einen solchen kompakten, dunklen Begleiter ein Schwarzes Loch. „Als wir uns die Daten anschauten, sprang uns dieses Schwarze Loch geradezu ins Auge“, sagt Jayasinghe. Aus den Merkmalen der Lichtkurve schließen er und sein Kollegen, dass dieses nach seinem Sternbild „Unicorn“ getaufte Schwarze Loch nur rund drei Sonnenmassen umfassen kann.
Kleinstes und erdnächstes Schwarzes Loch
Damit wäre dieses „dunkle Einhorn“ das bisher kleinste und uns am nächsten liegende Schwarze Loch. Denn Astronomen haben zwar vor einem Jahr im 1.000 Lichtjahre entfernten Doppelsternsystem HR 6819 ebenfalls Hinweise auf ein stellares Schwarzes Loch entdeckt. Spätere Beobachtungen konnten dies aber nicht bestätigen, wie Jayasinghe und sein Team berichten.
Das 1.500 Jahre entfernte „Einhorn“ von V723 Mon ist dagegen schon von einer zweiten, unabhängigen Messung bestätigt worden. Dafür haben Kento Masuda von der Osaka Universität und sein Kollege Teryuki Hirano die Radialgeschwindigkeit des Roten Riesen noch einmal genauer analysiert. Mithilfe eines Modells untersuchten sie, wie sich bestimmte Unregelmäßigkeiten in der Lichtkurve am besten erklären lassen.
Von unabhängiger Messung bestätigt
Das Ergebnis: Die beobachteten Merkmale gehen auf einen Gezeiteneffekt des Schwarzen Lochs auf den Roten Riesen zurück. Die Schwerkraft des unsichtbaren Begleiters zerrt dabei so am Stern, dass dieser eine wandernde Ausbeulung bildet – ähnlich wie die Flutberge, die die Anziehungskraft des Mondes in den Ozeanen der Erde hervorrufen. „Die periodischen Effekte in der Radialgeschwindigkeit von 723 Mon lassen sich durch die gezeitenbedingte Deformation des Sterns und die damit verknüpften Verzerrungen der Absorptionslinien quantitativ erklären“, so die Forscher.
Ihre Berechnungen bestätigen zudem die extrem geringe Masse des „dunklen Einhorns“: Mit 2,93 Sonnenmassen gehört es zu den kleinsten je beobachteten Schwarzen Löchern. Es bewegt sich damit in der sogenannten Massenlücke – dem Bereich, in dem die Grenze zwischen Schwarzen Löchern und Neutronensternen liegen muss. Bisher sind nur eine Handvoll Schwarze Löcher in diesem Massenbereich bekannt, eines davon könnte sich über seine Gravitationswellen verraten haben.
Dort draußen sind noch mehr davon
Jayasinghe und sein Team schätzen, dass es in der Milchstraße noch eine ganze Reihe von inaktiven und daher unsichtbaren Winzlingen unter den Schwarzen Löchern geben muss. Demnach könnte es allein an Doppelsystemen, die wie 723 Mon aus Riesensternen und inaktiven Schwarzen Löchern bestehen, rund 100 bis 1.000 in der Galaxie geben.
Die Astronomen hoffen, dass die immer präziseren Spektrografen und Teleskope künftig dabei helfen werden, noch mehr solcher „dunklen Einhörner“ aufzuspüren. Das könnte auch die Frage klären, was beim Kollaps eines massereichen Sterns passiert – und wann dabei ein Neutronenstern oder Schwarzes Loch entsteht. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, in press, arXiv:2101.02212; The Astrophysical Journal Letters, 2021; doi: 10.3847/2041-8213/abecdc)
Quelle: Ohio State University