Planetare Katastrophe: Eine schwere Kollision könnte einem nahen Exoplaneten große Teile seiner Atmosphäre geraubt haben. Indiz dafür ist eine ungewöhnliche Wolke aus Staub und Kohlenmonoxid um einen rund 95 Lichtjahre entfernten Stern, wie Astronomen im Fachmagazin „Nature“ berichten. Die Position und Zusammensetzung des Gasrings deutet darauf hin, dass dieses Gas aus der Hülle eines Planeten stammt und bei einer Highspeed-Kollision ins All gerissen wurde.
Heftige Kollisionen sind in jungen Planetensystemen Alltag – auch im frühen Sonnensystem war dies der Fall. Planetenforscher vermuten, dass Merkur, Venus, Erde, Jupiter und Uranus einst solche Zusammenstöße erlebt haben. Bei der Erde führte die Kollision mit dem Protoplaneten Theia vor rund 4,5 Milliarden Jahren dazu, dass Teile unseres Planeten und des Impaktors verdampften und aus den Trümmern dann der Erdmond entstand.
Staubscheibe mit ungewöhnlichen Merkmalen
Eine weitere Folge einer planetaren Kollision könnten nun Astronomen um Tajana Schneiderman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entdeckt haben. Ort des Geschehens ist der junge Stern HD 172555, der rund 95 Lichtjahre von uns entfernt liegt. Um ihn haben Astronomen vor einigen Jahren eine Staubscheibe mit ungewöhnlichen Merkmalen entdeckt. Unter anderen deuten Spektralmessungen auf eine besonders feine Körnung und auf glasartig erhärtetes Silikat und Siliziummonoxid hin.
Beides ist für die Staubscheibe um junge Sterne eher ungewöhnlich: „Aufgrund dieser beiden Merkmale gab HD 172555 daher Rätsel auf“, sagt Schneiderman. Um der Sache auf den Grund zu gehen, haben sie und ihre Team nun den Stern und seine Staubscheibe mit den Radioteleskopen des Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile anvisiert. Weil Staub und Gase spezielle Spektralsignaturen im Radiobereich erzeugen, liefert dies näheren Aufschluss über die Struktur und Zusammensetzung der Staubscheibe.
Ring aus Kohlenmonoxid
Die Analysen enthüllten Überraschendes: Im Staubring gibt es eine Zone, in der eine hohe Dichte von Kohlenmonoxidgas (CO) nachweisbar ist. Dieser Gasring erstreckt sich in einem Abstand von 3,3 bis 7,5 astronomischen Einheiten vom Stern entfernt – erstaunlich nah. Denn in diesem Abstand müsste die Strahlung des Sterns das Kohlenmonoxid sehr schnell zerfallen lassen, wie die Astronomen erklären. Normalerweise findet sich daher im Innenbereich einer Staubscheibe oder eines Planetensystems nur sehr wenig CO-Gas.
„Die Präsenz von Kohlenmonoxid so nah am Stern erfordert daher eine Erklärung“, sagt Schneidermann. Eine Möglichkeit wäre, dass das CO-Gas kontinuierlich nachgeliefert wird, beispielsweise durch kollidierende Asteroiden oder aus dem äußeren System einfallende Kometen. Beide Szenarien passen aber nicht zu den Merkmalen der Staubscheibe und des Sterns, wie das Team mithilfe von Modellrechnungen feststellte.
Kollision als CO-Quelle?
Doch es gibt noch eine Möglichkeit: Das Kohlenmonoxid könnte bei der Kollision zweier Protoplaneten im Orbit um den Stern freigesetzt worden sein. „Von allen Szenarien ist dies das einzige, das alle Merkmale der Beobachtungsdaten erklären kann“, sagt Schneiderman. „Der Zeithorizont passt, das Alter des Sterns und auch die morphologischen und chemischen Parameter des Systems.“
In diesem Szenario müsste ein etwa erdgroßer Planet mit großer Gashülle mit hoher Geschwindigkeit von einem kleineren Protoplaneten gerammt worden sein. Diese Kollision setzte so viel Energie frei, dass die Gashülle des größeren Planeten größtenteils weggerissen und ins All hinausgeschleudert wurde. „Die im System detektierte CO-Masse entspricht etwa der zehnfachen Masse der Erdatmosphäre – das ist konsistent mit einer einschlagsbedingten Freisetzung aus einer Planetenatmosphäre“, schreiben die Astronomen.
Junger Planet verlor seine Atmosphäre
Die ungewöhnliche Staubscheibe und der Kohlenmonoxid-Gasring um HD 172555 sind demnach die Hinterlassenschaft einer planetaren Katastrophe, durch die ein junger, gasreicher Exoplanet seine Atmosphäre verlor. Den Berechnungen des Forschungsteams nach könnte sich diese Kollision vor rund 200.000 Jahren ereignet haben – deshalb wurde das CO-Gas noch nicht vollständig durch die stellare Strahlung abgebaut.
„Dies ist das erste Mal, dass wir eine bei einer Kollision weggerissene Planetenatmosphäre nachgewiesen haben“, sagt Schneiderman. Nach Ansicht des Teams spricht die Entdeckung dieses Phänomen dafür, dass große Kollisionen und Einschläge auch in vielen anderen Fällen Planeten ihrer Atmosphären berauben können – und dass zumindest einige dieser Ereignisse an ihren gasförmigen Hinterlassenschaften erkennbar sein könnten.
„Das bietet uns einen neuen Ansatz, um nach großen Einschlägen und Kollisionen in Planetensystemen zu suchen“, sagt Schneiderman. Gleichzeitig liefern die Beobachtungen um HD 172555 wertvolle Informationen darüber, wie Gas und Trümmer einer solchen planetaren Katastrophe beschaffen sind und wie sie sich entwickeln. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03872-x)
Quelle: Massachusetts Institute of Technology