Heute ist es soweit: Der Komet ISON wird seinen sonnennächsten Punkt passieren. Er fliegt dann nur rund eine Million Kilometer an der Sonnenoberfläche vorbei. Noch ist nicht klar, ob er das übersteht, es bleibt spannend. Sollte das aber der Fall sein, könnte der Komet ab Sonntag am Morgenhimmel dicht über dem Horizont auch mit bloßem Auge als heller Lichtpunkt zu sehen sein. Er soll dann etwa so hell leuchten wie die Venus.
Zunächst war da nur ein schwaches Lichtpünktchen, das die beiden Amateurastronomen Witalij Newskij aus Weißrussland und Artjom Nowitschonok aus Russland sahen. Es bildete sich auf einer Aufnahme ab, die sie mit einem 40-Zentimeter-Telekop des International Scientific Optical Network (ISON) am 21. September 2012 angefertigt hatten. Das Lichtpünktchen vom 21. September entpuppte sich nicht als Asteroid, wie anfangs vermutet, sondern als Komet. Er erhielt schließlich die offizielle Bezeichnung C/2012 S1 (ISON).
Ein „Frischling“ passiert die Sonne
„ISON vereint zwei Eigenschaften, die ihn zu einem Glücksfall für die Wissenschaft machen“, sagt Kometenforscher Hermann Böhnhardt, der die ISON-Aktivitäten am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Kaltenburg-Lindau leitet. Zum einen wird ISON der Sonne sehr nahe kommen. Bei Oberflächentemperaturen von bis zu 2.000 Kelvin könnten Metalle und andere Stoffe verdampfen, die in den meisten anderen Fällen im Kometenmaterial gebunden bleiben. Dort sind sie für Untersuchungen mit Teleskopen unzugänglich – und somit bis heute weitgehend unbekannt.
Vieles spricht zudem dafür, dass der Komet möglicherweise zum ersten Mal ins innere Sonnensystem vordringt. Seine Bahn ist so lang gestreckt, dass er offenbar die meiste Zeit seit seiner Entstehung vor Milliarden von Jahren in der Tiefe und Kälte des Alls verborgen war. Auch das ist ein Glücksfall. „Solche sogenannten nicht-periodischen Kometen enthalten unverfälschte Informationen aus der Entstehungszeit unseres Sonnensystems“, sagt Böhnhardt.
Ab 1. Dezember am Morgenhimmel zu sehen
Heute, am 28. November, ist der sonnennächste Punkt seiner Umlaufbahn erreicht. ISON wird in einer Entfernung von nur 1,8 Millionen Kilometern am Zentrum der Sonne vorbeirasen. Da diese einen Radius von knapp 700.000 Kilometern besitzt, heißt das: Der Komet wird die brodelnde Oberfläche des Sterns in gut einer Million Kilometer Abstand passieren. Dabei ist sein Kern aus Eis und Gestein – die Forscher schätzen den Durchmesser zwischen zwei und fünf Kilometer – gigantischen Gezeitenkräften und höllischer Hitze ausgesetzt. Sehen kann man den Komten dabei allerdings kaum, denn ISON steht heute dicht neben der Sonne am Taghimmel, die ihn überstrahlt. Die NASA überträgt aber Live-Bilder ihres SOnnenobservatoriums SDO.
Falls ISON aber heil aus der Perihelpassage herauskommt, zieht er steil nach Norden und ist ab Sonntag am Morgenhimmel vor Sonnenaufgang dicht über dem Osthorizont zu sehen. Täglich vergrößert sich jetzt sein Abstand zur Sonne, sein Schweif sollte maximale Größe erreichen und über den Horizont ragen, noch ehe der Kometenkopf erscheint. Am besten sind die Aussichten vom 1. bis zum 6. Dezember gegen 07 Uhr morgens. Für die Tage direkt nach der Sonnenpassage erwarten die Wissenschaftler einen breit aufgefächerten Schweif, der gut sichtbar sein müsste.
Zerbrechen des Kometen möglich
„Voraussetzung ist allerdings, dass ISON den Vorbeiflug überlebt“, gibt Böhnhardt zu bedenken. Denn der Körper könnte unter dem Einfluss der Hitze und der Schwerkraft unseres Sterns zerbrechen. Vor einigen Tagen hatten Astronomen bereits Anzeichen dafür entdeckt, dass der Komet erste Bruchstücke verloren hat. Für viele Hobbyastronomen, die den zunächst als „Jahrhundertkometen“ gefeierten Besucher seit Monaten gespannt erwarten, wäre das zwar eine Enttäuschung, aus Sicht vieler Forscher jedoch bei Weitem nicht die schlechteste Variante. Besonders den Sonnensonden STEREO und SOHO, die in den Stunden und Tagen vor und nach der Passage einen besonders guten Blick auf die Geschehnisse genießen, würde ISON noch tiefere Einblicke in sein Inneres erlauben – und so zu einem weiteren Glücksfall für die Kometenforschung werden.
Ab Mitte Dezember zeigt sich der Komet auch am Abendhimmel nach Sonnenuntergang tief im Westen. Allerdings verläuft der Schweif sehr flach, nahezu parallel zum Horizont. Außerdem geht die Helligkeit nun immer weiter zurück. Einen eindrucksvollen Weihnachtsstern wird es vermutlich nicht geben, um Heiligabend wird ISON wohl erneut zum Fernglasobjekt – und das, obwohl der Komet am 27. Dezember seinen geringsten Abstand zur Erde erreicht und in 64 Millionen Kilometern an ihr vorbeirauscht. Pünktlich zum Jahresende ist der Auftritt des geschweiften Vagabunden aus dem All mehr oder weniger Geschichte.
(Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, 28.11.2013 – NPO)