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Astronomie

Kosmisches Extrem-Teilchen gibt Rätsel auf

"Amatersasu" war energiereichstes kosmisches Partikel der letzten 30 Jahre

kosmische Strahlung
Astronomen haben ein extrem energiereiches kosmisches Teilchen eingefangen, dessen Ursache und Ursprungsort Rätsel aufgeben. © Osaka Metropolitan University/ L-INSIGHT, Kyoto University/ Ryuunosuke Takeshige

Extreme Energien: Astronomen haben ein kosmisches Teilchen eingefangen, dessen Energie und Herkunftsregion schwer erklärbar sind. Das „Amatersasu“ getaufte Teilchen prallte im Mai 2021 mit der enormen Energie von 244 Exaelektronenvolt auf die Erdatmosphäre – es ist das energiereichste Ereignis dieser Art seit 30 Jahren. Seltsam jedoch: Dieses „Amaterasu“ getaufte Teilchen kam aus unserem lokalen Void – einer ziemlich leeren Region des Alls, in der eigentlich nichts existiert, das dieses Partikel so stark beschleunigt haben kann, wie das Team in „Science“ berichtet.

Die Erde wird ständig von energiereichen Teilchen aus dem tiefen Weltraum getroffen – der kosmischen Strahlung. Der größte Teil davon wird zwar vom irdischen „Strahlenschutzschild“ abgefangen, aber einige dieser auf extreme Geschwindigkeiten beschleunigten Teilchen dringen bis in die Erdatmosphäre vor. Dort kollidieren sie mit Gasteilchen und erzeugen dabei eine ganze Kaskade sekundärer Teilchen. Diese können Astronomen mit speziellen Detektoren nachweisen und aus der Menge, Energie und Richtung der Teilchen rekonstruieren, woher die kosmische Strahlung kam.

kosmische Ereignisse
Im Kosmos gibt es einige extrem energiereiche Phänomene, doch woher der energiereichste Anteil der kosmischen Strahlung stammt, ist trotzdem unbekannt. Bildunterschrift © © Osaka Metropolitan University/ Kyoto University/ Ryuunosuke Takeshige

Durch solche Tscherenkow-Teleskope ist inzwischen klar, dass die energieärmere kosmische Strahlung größtenteils von der Sonne, benachbarten Sternen, Supernovae und auch vom Zentrum der Milchstraße ausgeht.

Rätsel um „Oh-My-God“ und Co

Anders ist dies jedoch für die energiereiche kosmische Strahlung. Deren Teilchen rasen mit Energien von mehr als einem Exaelektronenvolt durch das All – das entspricht einer Trillion Elektronenvolt oder dem millionenfachen der Kollisionsenergie im Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) am CERN. Bisher wurden erst gut zwei Dutzend solcher ultraenergiereichen kosmischen Teilchen (UHECR) detektiert. Zu diesen gehört das sogenannte „Oh-My-God“-Teilchen, das im Jahr 1991 mit einer Energie von 320 Exaelektronenvolt bei uns eintraf.

„Der Ursprung solcher UHECR-Teilchen liegt gängiger Annahme nach in den energiereichsten Phänomenen des Universums, wie den relativistischen Ausströmen Schwarzer Löcher, Gammastrahlenausbrüchen oder großräumigen Schockwellen von Galaxienkollisionen“, erklären Astronomen um Toshihiro Fuji von der Osaka Metropolitan University. Zwar scheinen die Hochenergie-Partikel weniger gleichmäßig verteilt zu sein als die „normale“ kosmische Strahlung. Ihr Ursprung ist aber unbekannt.

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Allerdings können die Quellen dieser UHECR-Partikel nicht sehr weit entfernt liegen: Weil sie mit der kosmischen Hintergrundstrahlung interagieren, verlieren sie auf ihrem Flug Energie. Selbst die energiereichsten UHECR können daher maximal aus Entfernungen von 160 bis 320 Millionen Lichtjahren stammen.

Neues Teilchen mit „beispielloser Energie“

Jetzt berichten Fuji und seine Kollegen von der Telescope Array Collaboration von einem kosmischen Teilchen, dass in mehrerer Hinsicht Rätsel aufgibt. Eingefangen wurde sein Signal am 27. Mai 2023 von den über 700 Quadratkilometer verteilten Teilchendetektoren des Telescope Array in Utah. Diese zeigten an, dass das Ursprungspartikel die enorme Energie von 244 Exaelektronenvolt besessen haben muss.

Telescope Array
Schema des Telescope Array in Utah: Drei seitliche Fluoreszenz-Teleskope fangen die vom sekundären Teilchenschauer freigesetzte Strahlung ein. Die dazwischen liegenden Szintillatoren detektieren die Teilchen. © Theturnipmaster/ CC-by-sa 3.0

„Als ich diesen extrem energiereichen kosmischen Strahl entdeckte, dachte ich erst, dass hier ein Fehler vorliegen müsst „, sagt Fuji. „Denn dieses Energieniveau ist für die letzten 30 Jahre beispiellos.“ Das „Amaterasu“ getaufte Teilchen könnte sogar ähnlich energiereich gewesen sein wie das Oh-My-God-Teilchen von 1991, da damals die Energie noch anders gemessen wurde, wie das Team erklärt. Nähere Analysen legten nahe, dass es sich bei „Amaterasu“ wahrscheinlich um ein Proton oder größeres geladenes Teilchen gehandelt haben muss.

Woher kommt „Amaterasu“?

Doch woher kam dieses ungewöhnlich energiereiche Teilchen? Um das herauszufinden, werteten die Astronomen die Winkel aus, mit denen die sekundären Teilchen auf die Detektoren trafen. Weil Partikel mit so hohen Energien kaum durch kosmische Magnetfelder und andere im Weg liegende Einflüsse abgelenkt werden, lässt sich daraus zumindest die grobe Flugrichtung rekonstruieren. „Man kann dann herausfinden, von wo am Himmel diese Teilchen stammen“, erklärt Koautor John Matthews von der University of Utah.

Das überraschende Ergebnis: Das Amaterasu-Teilchen scheint aus dem lokalen Void gekommen zu sein – einer relativ leeren Zone des Alls in der Nähe unserer lokalen Galaxiengruppe. „In diesem Void gibt es nur eine kleine Zahl von Galaxien und keine von diesen ist ein Ort, an dem UHECR-Teilchen durch Beschleunigung entstanden sein könnten“, berichten die Astronomen. Auch Gammastrahlenquellen oder andere energiereiche kosmische Phänomene fehlen dort. „Das ist wirklich ein Rätsel – was geht hier vor?“, sagt Matthews.

Steckt „neue Physik“ dahinter?

Rätselhaft auch: Die wenigen bisher eingefangenen UHECR-Ereignisse scheinen aus ganz unterschiedlichen Richtungen zu kommen. „Es gibt offenbar keine Ballung dieser Hochenergie-Ereignisse“, erklären die Astronomen. Auch das Oh-My-God-Teilchen kam aus einem anderen Teil des Himmels als jetzt Amaterasu. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, für eines dieser Ereignisse eine plausible Quelle zu identifizieren.

„Möglicherweise gibt es noch unbekannte kosmische Phänomene oder sogar neuartige physikalische Prozesse jenseits des Standardmodells“, sagt Fuji. Dazu könnte auch ein noch unbekannter Typ von Teilchen gehören, der nicht von der kosmischen Hintergrundstrahlung und deren Magneteinfluss abgebremst wird. Dann könnten Amaterasu, Oh-My-God und Co auch aus größerer Entfernung stammen als der bisher postulierten Maximaldistanz. Was die Ursache dieser extrem energiereichen Teilchen im Exaelektronenvolt-Bereich ist, bleibt aber vorerst ein Rätsel. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.abo5095)

Quelle: University of Utah, Osaka Metropolitan University

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