In der Atmosphäre alter Sterne existiert das Element Lithium in einer zwei bis drei Mal geringeren Konzentration, als nach den Annahmen über den Urknall und die Entwicklung des Universums zu erwarten wäre. Eine Erklärung für diese bis jetzt ungeklärte Diskrepanz haben jetzt Astronomen der Europäischen Südsternwarte gefunden und in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
Lithium ist eines der wenigen Elemente, die wahrscheinlich schon beim Urknall und nicht erst später entstanden sind. Ausgehend von bisherigen Theorien über die Entstehung des Universums und den Beobachtungen der heutigen Materieverteilung können Astronomen kalkulieren, wie viel Lithium damals gebildet worden sein muss. Gleichzeitig dienen auch Sterne aus der Anfangszeit des Kosmos als „Zeitfenster“ in die Vergangenheit. Diese metallarmen Himmelskörper spiegeln in der Zusammensetzung ihrer Atmosphäre diejenige der frühzeitlichen Materie wieder – so zumindest glaubte man bisher.
Diffusion Schuld an Lithiummangel?
Doch Messungen zeigten, dass die in diesen alten Sternen gefundene Lithiummenge erheblich niedriger ist, als nach den Kalkulationen erwartet. Irgendwo musste daher ein Fehler liegen. Aber wo? Genau diese Frage stellte sich auch ein internationales Astronomenteam um Andreas Korn von der Universität von Uppsala in Schweden. Sie entwickelten die Theorie, dass Diffusionsprozesse – quasi eine Umverteilung der Elemente im Inneren des Sterns – dabei die entscheidende Rolle spielen könnten. Unter der Einwirkung der Schwerkraft sinken dabei die schwereren Elemente im Laufe von Milliarden von Jahren tiefer ins Sterneninnere und damit für Beobachter außer Sicht.
„Die Effekte der Diffusion sollten erwartungsgemäß in älteren, sehr metallarmen Sternen stärker ausgeprägt sein“, erklärt Korn. „Wegen ihres höheren Alters hatte die Diffusion mehr Zeit, erhebliche Effekte zu erzeugen als in jüngeren Sternen wie der Sonne.“ Bisher allerdings fehlte für diese Annahme ein beobachtbarer Beweis – bis jetzt.
Kugelsternhaufen als Testobjekt
Mithilfe des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte untersuchten die Forscher Sterne unterschiedlicher Entwicklungsstadien im sehr alten Kugelsternhaufen NGC 6397. Da die Sterne eines solchen Sternenhaufens gemeinsam entstanden sind, haben alle das gleiche Alter und die gleiche chemische Zusammensetzung. Sie unterscheiden sich jedoch in der Geschwindigkeit ihrer Entwicklung, so dass sie sich heute in verschiedenen Phasen ihrer Lebenszyklus befinden. Die Diffusionseffekte sollen, so die Theorie, in Abhängigkeit vom evolutionären Alter, also von der Lebensphase des Sterns, variieren.
Diffusion experimentell bestätigt
Die Wissenschaftler analysierten 18 alte Sterne des Kugelsternhaufens mit einem so genannten Multi-Objekt-Spektrographen des Teleskops. Dieses ermittelt die Spektren von mehreren Sternen gleichzeitig und erlaubt so einen direkten Vergleich. Die Ergebnisse zeigten, dass tatsächlich systematische, vom Entwicklungsstand der Sterne abhängige Häufigkeitstrends für Lithium auftraten – genau so, wie es das Modell der Diffusions- bedingten Durchmischung vorhersagt.
“Wird dieser Effekt entsprechend mit einbezogen und korrigiert, stimmt auch die Lithiummenge in alten, unentwickelten Sternen mit dem theoretisch prognostizierten Wert überein“, so Korn. „Die kosmologische Lithium-Diskrepanz ist damit größtenteils behoben. Der Ball ist nun wieder im Spielfeld der Theoretiker. Sie müssen nun die physikalischen Mechanismus identifizieren, der diese Durchmischung verursacht.“
(European Southern Observatory (ESO), 10.08.2006 – NPO)