Astronomie/Kosmologie

Kosmologie: Liegt unser Standardmodell falsch?

Größte 3D-Kartierung des Kosmos misst schwächer werdende Dunkle Energie

DESI
Das DESI-Projekt kartiert vom Kitt Peak in Arizona aus das Universum – und hat dabei Abweichungen vom kosmologischen Standardmodell gefunden. © Luke Tyas/Berkeley Lab; KPNO/NOIRLab/NSF/AURA

Doch keine Konstante? Ein entscheidender Baustein unseres kosmologischen Weltbilds gerät ins Wanken – die Dunkle Energie und ihre ausdehnende Wirkung auf das Universum. Denn die umfassendste 3D-Kartierung unseres Universums legt nun nahe, dass die Dunkle Energie weniger konstant ist als im Standardmodell vorgesehen. Stattdessen deuten die Messdaten auf ein Schwächerwerden dieser geheimnisvollen Kraft hin. Damit erhärten sich die Indizien dafür, dass unser Bild des Kosmos unvollständig sein könnte.

Das Universum dehnt sich seit dem Urknall immer schneller aus. Als Triebkraft für diese kosmische Expansion gilt gemeinhin die rätselhafte Dunkle Energie. Dem kosmologischen Standardmodell (ΛCDM) zufolge hat sie eine in Zeit und Raum gleichbleibende Dichte. Sie gilt daher als Konstante – eigentlich.

Doch in jüngster Zeit mehren sich Indizien dafür, dass mit dieser kosmologischen Konstante etwas nicht stimmt. So zeigen astronomische Messdaten signifikante Abweichungen im Tempo der kosmischen Expansion – sie verläuft offenbar schneller als sie es dem Standardmodell nach dürfte. Bereits Anfang 2024 gab es zudem Hinweise darauf, dass auch die treibende Kraft dieser Ausdehnung, die Dunkle Energie, weniger konstant ist als nach dem auf Einsteins Relativitätstheorie beruhenden ΛCDM-Modell angenommen.

DESI
Das DESI am Mayall-Teleskop in Arizona kann 5.000 astronomische Objekte gleichzeitig erfassen und spektrografisch analysieren.© Marilyn Sargent/Berkeley Lab

15 Millionen Galaxien und Quasare

Jetzt erhärtet sich dieser Verdacht. Basis dafür sind neueste Ergebnisse des Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI), einem speziell auf die Erforschung der Dunklen Energie ausgelegten Experiments in Arizona. Mit diesem haben Astronomen inzwischen mehr als 15 Millionen Galaxien und Quasare kartiert, ihr jetzt veröffentlichter zweiter Datensatz bildet die bisher größte 3D-Karte unseres Kosmos. Er ist doppelt so umfangreich wie der erste und deutlich präziser.

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Dunkle Energie - Auf der Suche nach der geheimnisvollen Triebkraft des Universums

Um das Verhalten der Dunklen Energie zu erfassen, analysierte das Team des DESI-Projekts die Rotverschiebung der Galaxien und Quasare, aber auch subtile Muster in der Galaxienverteilung in Form der sogenannten baryonischen akustischen Oszillation (BAO). Sie spiegelt Dichtewellen im frühen Kosmos wider, durch die sich Galaxien und Galaxienhaufen bevorzugt in festen Abständen bildeten. Indem Astronomen diese Abstände in verschiedenen Entfernungen messen, können sie auf die Expansionsrate und damit auch den Effekt der Dunklen Energie zu verschiedenen Zeiten schließen.

DESI-Kartierung
Die DESI-Daten kartieren die 3D-Struktur des Kosmos über Milliarden Lichtjahre hinweg – von nahen Galaxien (gelb) über weiter entfernte (orange) bis zu fernsten Quasaren (grün).© Claire Lamman/ DESI Collaboration

Dunkle Energie wird schwächer

Diese Kartierung enthüllt: Zwar stimmen die Resultate halbwegs mit dem kosmologischen Standardmodell überein – doch ausgerechnet bei der Dunklen Energie gibt es wieder Diskrepanzen. Dem Modell zufolge müsste der Effekt der Dunklen Energie konstant bei ω0 = -1 liegen. Die DESI-Messungen ergaben aber einen Wert von ω0 = -0,838. Dies deutet darauf hin, dass die Wirkung der Dunklen Energie nicht gleichbleibt, sondern mit der Zeit schwächer geworden ist.

Kombiniert man die neuen DESI-Daten mit Messwerten anderer Kartierungen, darunter Supernovae, der kosmischen Hintergrundstrahlung und Gravitationslinsen, liegt die Signifikanz der Abweichungen vom Standardmodell zwischen 2,4 und 4,2 Sigma. „Mit 4,2 Sigma gelangen wir allmählich an den Point of no return“, konstatiert Mustapha Ishak-Boushaki von der University of Texas in Dallas. In der Physik gilt ein Wert von fünf Sigma offiziell als Entdeckung.

„Wir haben damit jetzt mehrere Datensätze, die alle in die gleiche Richtung zeigen“, sagt Seshadri Nadathur von der University of Portsmouth. „Die Daten legen eine sich verändernde Dunkle Energie nahe – und dies mit größerer Zuverlässigkeit als je zuvor.“

„An der Schwelle einer bedeutenden Entdeckung“

Nach Ansicht des DESI-Teams verstärken diese Resultate die Zweifel am ΛCDM-Modell – sie legen nahe, dass die dort eingetragene Konstante keine ist. „Was wir hier sehen, ist zutiefst faszinierend. Wir könnten hier an der Schwelle einer bedeutenden Entdeckung stehen – zur Dunklen Energie und der fundamentalen Natur unseres Universums“, sagt DESI-Co-Sprecherin Alexie Leauthaud-Harnett von der University of California in Santa Cruz.

Im Extremfall folgt daraus, dass unser kosmologisches Weltbild und Einsteins Relativitätstheorie nicht in allen Punkten richtig liegen. „Es sieht mehr und mehr so aus, als müssten wir unser Standardmodell verändern“, sagt DESI-Sprecher Will Percival von der University of Waterloo.

Diskrepanz bei der Dunklen Energie
Diese Grafik verdeutlicht die Abweichung der DESI-Resultate von den Erwartungen auf Basis des Standardmodells.© Claire Lamman/ DESI Collaboration

„Phantom-Kreuzung“ statt Konstante?

Was aber bedeutet dies ganz praktisch? Könnten vielleicht einige alternative Modelle das Verhalten der Dunkle Energie besser beschreiben? Zu diesen gehören beispielsweise Theorien, nach denen entweder die Dunkle Energie oder die Gravitation je nach Materiedichte, Größenordnung oder Zeitraum unterschiedlich stark wirken. In ergänzenden Analysen haben die DESI-Forschenden bereits verschiedene alternative Theorien überprüft.

Das Ergebnis: Modelle, die Alternativen zu Einsteins Gravitation postulieren, passen nicht zu den Messergebnissen. Wohl aber einige Theorien, die von einer sogenannten „Phantom-Kreuzung“ der Dunklen Energie ausgehen. Demnach hat sich die Wirkung der Dunklen Energie so verändert, dass sie im Laufe der kosmischen Entwicklung den Wert der Standardmodell-Konstante kreuzte – sie lag mal höher, dann niedriger. „Die aktuellen Daten zeigen eine klare Präferenz für Modelle, die eine solche Phantom-Kreuzung beinhalten“, konstatieren die DESI-Physiker.

Wie es weitergeht

Doch wie geht es nun weiter? Noch ist der Sigma-Wert der gemessenen Abweichungen nicht hoch genug, um das Standardmodell und seine Konstante endgültig zu widerlegen. Aber für viele Physiker sind die jetzigen Ergebnisse Grund genug, um grundlegende Fragen neu aufzurollen. „Unsere Resultate sind fruchtbarer Boden für die Kollegen aus der theoretischen Physik und wir sind gespannt, was sie zutage fördern“, sagt DESI-Direktor Michael Levi vom Berkeley Laboratory.

Parallel dazu hoffen die Astronomen auf weitere Informationen unter anderem aus den Messdaten des europäischen Weltraumteleskops Euclid. Dieses ist ebenfalls darauf ausgelegt, grundlegende kosmologische Parameter wie die Dunkle Energie und Dunkle Materie genauer zu kartieren. (Global Physics Summit 2025; arXiv-Preprints, doi: 10.48550/arXiv.2503.14738; doi: 10.48550/arXiv.2503.14743)

Quelle: DOE/Lawrence Berkeley National Laboratory, Ohio State University

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