Astronomie

Kosmos: Fehlende Materie aufgespürt?

Subtile Verzerrungen von Radioblitzen verraten im All verstreute Atome

Radioburst
Radioblitze aus fernen Galaxien verraten, wo die fehlende Materie steckt. © ICRAR

Verräterischer Streueffekt: Energiereiche Radiopulse aus fernen Galaxien haben den Astronomen verraten, wo sich die fehlende Materie des Kosmos verbirgt. Demnach sind diese nicht in Sternen, Planeten oder Gaswolken steckenden Atome als dünner, intergalaktischer Schleier im gesamten All verteilt. Entdeckt haben die Forscher dieses „verborgene Drittel“ durch einen subtilen Streueffekt, den diese Materie auf die Radiopulse ausübt.

Es ist eines der großen Rätsel der Kosmologie: das Universum muss den Modellen zufolge aus rund fünf Prozent normaler Materie bestehen. Doch von diesen Atomen und Molekülen haben Astronomen bislang nur etwa die Hälfte nachgewiesen. Diese Materie steckt in Sternen, Galaxien und interstellaren Gaswolken. Einen weiteren Anteil vermuten Forscher in intergalaktischen Gaswolken und in den feinen Filamenten des kosmischen Netzwerks – erste Indizien dafür gibt es bereits.

Streuung eines FRB
Wenn die elektromagnetischen Wellen des Radioblitzes durch leeren Raum fliegen, verändern sie sich nicht. Wenn sie aber von Materie gestreut werden, verschiebt dies die Ankunftszeiten der verschiedenen Wellenlängen gegeneinander. © ICRAR

Radiopulse als Messwerkzeuge

Doch diese fehlende Materie vollständig nachzuweisen, ist schwierig. Denn sie ist extrem dünn im gesamten All verteilt. „Die Dichte dieser Materie entspricht gerade einmal einem oder zwei Atomen in einem Raum von der Größe eines normalen Büros“, erklärt Erstautor Jean-Pierre Macquart von der Curtin University in Perth. „Mit traditionellen Methoden und Teleskopen ist diese Materie daher schwer zu detektieren.“

Deshalb haben Macquart und sein Team nun einen ganz neuen Ansatz gewählt. Dafür nutzten sie ein kaum weniger rätselhaftes kosmisches Phänomen als Werkzeug – die Fast Radiobursts (FRB). Diese ultrakurzen, aber extrem energiereichen Radioblitze stammen größtenteils aus anderen Galaxien. Die Ursachen dieser teils wiederholten, teils einzeln auftretenden Pulse kennen die Astronomen allerdings noch nicht.

Streuung verrät Materiedichte

Für Materie-Fahndung entscheidend aber ist etwas anderes: „Die Strahlung der Radiopulse wird beim Durchlaufen der fehlenden Materie leicht gestreut – ähnlich wie das Sonnenlicht in einem Prisma in seine Farbanteile aufgetrennt wird“, sagt Macquart. Indem die Forscher das Ausmaß dieser Streuung bei sechs Radiobursts aus unterschiedlich weit entfernten Galaxien ermittelten, konnten sie Rückschlüsse auf die Menge der auf ihrem Wege durchlaufenen Materie ziehen. „Diese Technik verrät die Elektronendichte entlang jeder der Sichtlinien und erfasst so jedes ionisierte Baryon“, erklären sie.

Möglich wurden diese Messungen dank der hohen Auflösung des Australian Square Kilometre Array Pathfinder (ASKAP) einem aus 36 Radioantennen bestehenden Teleskop. „ASKAP hat sowohl ein großes Gesichtsfeld vom 60-Fachen des Vollmonds als auch eine hohe Auflösung“, erklärt Koautor Ryan Shannon von der Swinburne University of Technology. „Deshalb können wir die Quelle der Radioblitze in ihren Wirtsgalaxien mit unglaublicher Präzision ermitteln.“

„Erstaunlich gute Übereinstimmung“

Das Ergebnis: „Die Übereinstimmung zwischen den Messdaten und den Modellen ist erstaunlich“, berichten Macquart und sein Team. „Die Radioburst-Messungen bestätigen die Präsenz von Baryonen mit fast genau der Dichte, wie sie auch aus der kosmischen Hintergrundstrahlung und den Modellen zur Nukleosynthese beim Urknall hervorgehen.“ Als Nukleosynthese bezeichnen Physiker die Bildung der ersten Atomkerne aus Protonen und Neutronen.

Nach Ansicht der Forscher sprechen ihre Resultate dafür, dass sich die fehlende Materie des Kosmos tatsächlich im scheinbar leeren Raum zwischen den Galaxien verbirgt. Diese Atome und Ionen verbergen sich demnach sowohl in den kosmischen Filamente als auch in den hauchdünnen Schleiern von Wasserstoff und anderen Elementen im intergalaktischen Raum. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2300-2)

Quelle: International Centre for Radio Astronomy Research

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