Astronomie

Längste Jets des Kosmos entdeckt

Gigantische Teilchenströme sind so lang wie 140 Milchstraßengalaxien hintereinander

Radio-Jet (Illustration)
Astronomen haben erstmals Jets eines aktiven Schwarzen Lochs entdeckt, die zusammen 23 Millionen Lichtjahre weit ins All reichen – neuer Rekord. © E. Wernquist / D. Nelson (IllustrisTNG Collaboration) / M. Oei

Kosmische Struktur der Superlative: Astronomen haben das längste Paar Radio-Jets im Kosmos entdeckt. Die beiden gigantischen Teilchenströme aus einem fernen Schwarzen Loch sind 23 Millionen Lichtjahre lang – so lang wie 140 Milchstraßengalaxien nebeneinander. Damit übertreffen diese von einer frühen Galaxie ausgehenden Jets nicht nur alles zuvor gesehen – sie werfen auch ein neues Licht auf die Rolle solcher Teilchenströme für die kosmische Entwicklung, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Kosmische Jets entstehen, wenn ein aktives Schwarzes Loch Materie einsaugt und dabei große Mengen Energie in Form von Strahlung und fast lichtschnellen Teilchen ausstößt. Sie bilden paarige Ausströme, die beiderseits des Schwarzen Lochs ins All hinausrasen. Beispiele für solche Jets finden sich unter anderem im aktiven Galaxienkern von Centaurus A oder an dem vom Event Horizon Telescope abgebildeten Schwarzen Loch M87*.

Radiojet von M87*
Jet des aktiven supermassereichen Schwarzen Lochs M87*: Der gigantische Ausstrom reicht weit über die Ausgangsgalaxie hinaus, wie diese Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops zeigt. © NASA,Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

Beobachtungen zeigen, dass die Jets supermassereicher Schwarzer Löcher weit über ihre Heimatgalaxien hinausreichen können. „Wenn sie über lange Zeit anhalten, können solche energiereichen Jets die größten von Galaxien erzeugten Strukturen im Universum werden“, erklären Martijn Oei von der Universität Leiden und seine Kollegen. Sie hatten im Jahr 2022 den bisher längsten Radio-Jet entdeckt. Diese nach dem mythischen Giganten Alcyoneus benannte Struktur ist rund 16 Millionen Lichtjahre lang.

Der größte aller Jet-Giganten

Doch jetzt gibt es einen neuen Rekordhalter. Oei und sein Team haben ihn aufgespürt, als sie mithilfe des LOFAR-Radioteleskop-Verbunds systematisch nach großen Radio-Jets suchten. „Als wir damit begannen, hatten wir keine Ahnung, dass wir so viele finden würden“, sagt Koautor Martin Hardcastle von der University of Hertfordshire. Zu ihrer Überraschung identifizierten die Astronomen mehr als 11.000 solcher riesigen Teilchenströme – in einem nur 15 Prozent des gesamten Himmels umfassenden Ausschnitt.

Den mit Abstand größte Radio-Jet entdeckte das Team rund 7,5 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt: zwei schmale, im Radiolicht leuchtende Ausläufer, die von einer großen Galaxie mit der rund zehnfachen Masse unserer Milchstraße ausgehen. Nähere Messungen ergaben, dass die beiden Radio-Jets zusammen rund 23 Millionen Lichtjahre lang sind. Diese nach einem weiteren griechischen Giganten getauften Porphyrion-Jets sind damit noch länger als der bisherige Rekordhalter Alcyoneus.

LOFAAR-Aufnahme von Porphyrion
Diese Aufnahme des LOFAR-Arrays im Radiobereich zeigt das Porphyrion-Jetpaar. Zusammen sind die beiden Ausströme 23 Millionen Lichtjahre lang.© LOFAR Collaboration / Martijn Oei (Caltech)

So lang wie 140 Milchstraßen aneinandergereiht

„Die Länge dieses Jet-Paares entspricht 140 Milchstraßen-Durchmessern“, erklärt Oei. „Unsere Galaxie wäre nur ein winziger Fleck in diesen beiden gigantischen Eruptionen.“ Die Porphyrion-Jets übertreffen damit auch die bisher für solche Ausströme Schwarzer Löcher angenommene Obergrenze, wie die Astronomen erklären: Weil man bisher nur kürzere Radio-Jets kannte, hielt man Längen von mehr als 16 Millionen Lichtjahren für nicht existent. Doch Porphyrion belehrt sie nun eines Besseren.

Und nicht nur das: Um so weit ins All hinausreichen zu können und dennoch stabil zu bleiben, müssen diese paarigen Teilchenströme von einer ungeheuren Energie gespeist werden. „Die Jets von Porphyrion haben eine Energie von rund 8 x 10<sup>55</sup> Joule in das intergalaktische Medium transportiert – das ist der Energie vergleichbar, die bei Kollisionen von Galaxienhaufen frei wird“, erklären die Astronomen. „Damit gehört dieser Ausstrom zu den energiereichsten Ereignissen nach dem Urknall im gesamten kosmischen Netz.“

Prägender Faktor für das kosmische Netz?

Relevant ist die Entdeckung dieser Rekord-Jets aber auch noch aus einem anderen Grund: „Bisher schienen solche gigantischen Jet-Systeme ein Phänomen des heutigen Universums zu sein“, erklärt Oei. Doch die Porphyrion-Jets gab es schon, als das Universum weniger als halb so alt war wie heute. Zu jener Zeit war der Kosmos noch weit kleiner als heute und seine Großstrukturen, darunter die Filamente des kosmischen Netzwerks, lagen dichter zusammen.

Ein gigantischer Ausstrom wie Porphyrion könnte zu jener Zeit lang genug gewesen sein, um von einem Filament des kosmischen Netzes zum anderen zu reichen. Selbst die Voids – gigantische ausgedünnte Zonen des Kosmos – könnten solche Jets durchqueren. Das jedoch bedeutet: „Wenn ferner Jets wie diese die Größenordnung des kosmischen Netzes erreichen, dann könnte jeder Ort des Universums irgendwann einmal durch diese Aktivität eines Schwarzen Lochs beeinflusst worden sein“, erklärt Oei.

Die Entdeckung von Porphyrion unterstreiche damit die Bedeutung aktiver Schwarzer Löcher und ihrer Ausströme auch für die Entwicklung der kosmischen Großstrukturen insgesamt, so die Astronomen.

Jets im kosmischen Netz
Die Entdeckung der Porphyrion-Jets deutet darauf hin, dass solche Teilchenströme im frühen Kosmos auch die Entwicklung des kosmischen Netzwerks beeinflusst haben könnten.© Martijn Oei (Caltech) / Dylan Nelson (IllustrisTNG Collaboration)

Jet-Urheber in unerwartetem Modus

Interessant auch: Die Porphyrion-Jets stammen aus einem supermassereichen Schwarzen Loch, das nach gängiger Theorie eigentlich gar keine Jets erzeugen dürfte – schon gar keine so weitreichenden. Denn Astronomen unterscheiden normalerweise zwei Zustände aktiver Schwarzer Löcher. Im sogenannten radiativ effizienten Modus (RE), geben aktive Galaxienkerne (AGN) ihre Energie primär als Strahlung ab. Dieser Modus war vor allem im frühen Kosmos bei Galaxien mit intensiver Sternbildung häufig. Er galt zudem bisher als nicht geeignet für große Jets.

Im Gegensatz dazu stehen Schwarze Löcher im radiativ ineffizienten Modus (RI). Sie sind die Urheber nahezu aller bisher bekannten Radio-Jets im Riesenmaßstab, darunter auch von Alcyoneus. Doch wie Oei und sein Team feststellten, stammen die Porphyrion-Jets nicht aus einem Schwarzen Loch im RI-Modus – ihr Urheber ist ein Galaxienkern im eigentlich strahlungsdominierten RE-Modus. „Porphyrion deutet darauf hin, dass RE-Galaxienkerne solche Megaparsec-langen Ausströme mindestens so effektiv erzeugen können wie die RI-AGNS des lokalen Universums“, konstatieren die Astronomen.

Oei und sein Team vermuten daher, dass sich im fernen Kosmos noch weit mehr solcher rekordträchtigen Radio-Jets verbergen könnten. „Wir sehen hier erst die Spitze des Eisbergs“, sagt Oei. „Die meisten dieser gigantischen Jets sind wahrscheinlich schwer zu erkennen. Wir glauben daher, dass es noch viele weitere dieser Ungetüme dort draußen gibt.“ Wie es diese Teilchenströme allerdings schaffen, über so große Entfernungen gebündelt und stabil zu bleiben, ist bisher ungeklärt.
(Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07879-y)

Quelle: Nature, California Institute of Technology

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