Neues Phänomen: Astronomen haben gigantische Magnetstrukturen im Milchstraßen-Halo entdeckt – Magnetbänder, die weit über und unter die Galaxienebene hinausragen. Das Spannende daran: Diese mehr als 16.000 Lichtjahre langen Magnet-Filamente entspringen nicht im galaktischen Zentrum, sondern an den Enden des Milchstraßenbalkens, wie das Team in „Nature Astronomy“ berichtet. Das liefert entscheidende Hinweise auf ihre Ursache.
Die Sternenscheibe unserer Milchstraße ist von einer ausgedehnten Hülle umgeben – dem Halo. In ihm finden sich weniger Sterne, dafür umso mehr Dunkle Materie und heiße Gase. In den letzten Jahren haben Röntgen- und Radioteleskope zudem gleich mehrere, hoch über die Galaxienebene hinausragende Strukturen entdeckt – schornsteinähnliche Gebilde, dünne Radiofilamente und zwei riesige Radioblasen sowie die Gammastrahlen aussendenden Fermiblasen über dem galaktischen Zentrum. Im Jahr 2020 enthüllte das Röntgenteleskop eROSITA zwei noch größere, über die Fermiblasen hinausreichende Blasen.
Magnetische Filamente im Riesenmaßstab
Jetzt haben Astronomen eine weitere neue Struktur entdeckt: Riesige magnetisierte Gebilde, die mehr als 16.000 Lichtjahre über und unter die Milchstraßenebene hinausragen. Von der Erde aus gesehen, erstrecken sich diese Magnet-Filamente von Horizont zu Horizont und sind bis zu 150 Vollmonde lang. Aufgespürt hat das Team um He-Shou Zhang vom italienischen Nationalen Institut für Astrophysik (INAF) diese magnetischen Halo-Strukturen mit dem Röntgenteleskop eROSITA.
„Unsere Arbeit liefert die erste detaillierte Kartierung der magnetischen Felder im Röntgenhalo der Milchstraße“, sagt Zhang. Anders als die Fermi- und eRosita-Blasen bestehen die neuentdeckten Magnetstrukturen jedoch nicht aus heißen Gasen. Stattdessen entsteht ihre polarisierte Röntgenemission durch Synchrotronstrahlung: In Schockwellen stark abgebremste energiereiche Elektronen geben diese Strahlung ab.
Parallelen zu eROSITA-Blasen
Doch es gibt auch einige Übereinstimmungen zwischen den eROSITA-Blasen und den Magnet-Filamenten: „Die magnetischen Feldlinien verlaufen parallel zum Rand der Blasen“, berichten die Astronomen. Beide Strukturen sind zudem leicht nach Westen geneigt. „Das spricht für eine potenzielle Verbindung zwischen den Magnetstrukturen und den eROSITA-Blasen“, schreiben Zhang und seine Kollegen. In beiden Fällen werden Gase und Teilchen durch starke Ausströme aus dem inneren Bereich der Galaxie beschleunigt.
Das Spannende daran: „Es ist schon bekannt, dass einige aktive Galaxien solche Ausströme erzeugen“, erklärt Koautorin Gabriele Ponti vom INAF. Diese galaktischen Winde werden dann meist durch das aktive Schwarze Loch im Galaxienzentrum angetrieben oder aber durch extreme Sternbildung. „Das Faszinierende hier ist jedoch, dass die Milchstraße eine inaktive Galaxie ist – und offenbar trotzdem starke Ausströme produziert.“
Ursprung an Balkenenden statt am Schwarzen Loch
Doch wodurch entstehen diese Ausströme und Magnetstrukturen der Milchstraße? Nähere Analysen enthüllten, dass der Ursprung der Magnet-Filamente und eROSITA-Blasen offenbar nicht im zentralen Schwarzen Loch unserer Galaxie liegt. Anders als beispielsweise für die Fermiblasen angenommen scheinen demnach vergangene Ausbrüche von Sagittarius A* nicht die Ursache dieser Röntgen- und Magnetstrukturen zu sein.
Stattdessen zeigten die Analysen, dass die magnetischen Filamente von einem etwas weiter außen liegenden Bereich der Sternenscheibe ausgehen. „Diese Gebiete entsprechen den Zonen aktiver Sternbildung an den Enden des galaktischen Balkens, die rund 9.700 bis 16.300 Lichtjahre vom Galaxienzentrum entfernt liegen“, erklären Zhang und seine Kollegen. „Dies deckt eine neue Verbindung zwischen intensiver Sternbildung und galaktischen Ausströmen auf.“
Supernovae als Triebkraft?
Konkret vermuten die Astronomen, dass nicht die Sternbildung selbst diese galaktischen Winde erzeugt, sondern die vielen Supernova-Explosionen durch massereiche, kurzlebige Sterne in diesen Sternbildungszonen. „Der kollektive Effekt von überlappenden Supernova-Explosionen kann Material mit Geschwindigkeiten von 100 bis 1.000 Kilometern pro Sekunde ausschleudern und so die galaktischen Winde produzieren“, erklären die Forschenden.
Derselbe Mechanismus könnte möglicherweise auch die riesigen Radiostrukturen verursachen, die ebenfalls weit über die Sternenscheibe der Milchstraße hinausragen. „Das stützt die Hypothese eines gemeinsamen Ursprungs dieser in verschiedenen Wellenlängen auftretenden Strahlung“, schreiben die Astronomen. Sowohl die Magnetstrukturen als auch die Röntgen- und Radioblasen könnten demnach auf solche Starburst-Phasen zurückgehen.
Neue Einblicke in Halo von Milchstraße und Co
Nach Ansicht des Forschungsteams repräsentieren diese neuen Erkenntnisse einen wichtigen Schritt vorwärts in der Erforschung unserer Heimatgalaxie und ihrer Strukturen. „Unsere Studie liefert neue Einblicke in den galaktischen Halo der Milchstraße und hilft dabei, das komplexe und ungestüme Ökosystem ihrer Sternbildung zu verstehen“, sagt Zhang. Er und seine Kollegen vermuten, dass ganz ähnliche Prozesse auch in anderen Galaxien mit inaktivem Schwarzen Loch zum Tragen kommen.
„Vielleicht enthüllt die Milchstraße uns hier ein Phänomen, das in Galaxien dieses Typs häufig vorkommt“, sagt Ponti. „Das könnte uns dann auch über deren Entwicklung mehr verraten.“ (Nature Astronomy, 2024; doi: 10.1038/s41550-024-02362-0)
Quelle: INAF, Radboud Universiteit