Missing Link der Sonnenphysik: Die komplexen Strukturen der solaren Magnetfelder könnten woanders entstehen als gedacht – nahe der Sonnenoberfläche statt tief in ihrem Inneren, wie Astrophysiker ermittelt haben. Demnach wirken die oberflächennahen Plasmaströmungen wie ein zweiter Magnetdynamo, der das solare Magnetfeld verstärkt und modifiziert. Dieser Mechanismus kann Phänomene wie den Sonnenfleckenzyklus und die äquatornahen Magnetfelder besser erklären als die bisherigen Modelle, so das Team in „Nature“.
Der jüngste Sonnensturm hat eindrucksvoll demonstriert, wie aktiv unser Stern sein kann. Doch wo und wie die Magnetfelder und Aktivitätszyklen der Sonne entstehen, ist bisher unklar – die solaren Strömungen und Felder sind einfach zu komplex. „Wir wissen, dass der solare Dynamo wie eine große Uhr mit vielen komplexen, interagierenden Teilen funktioniert“, erklärt Erstautor Geoffrey Vasil von der University of Edinburgh. „Aber wir kennen noch nicht alle Teile und wissen nicht, wie sie zusammengehören.“
Dynamo in der Tiefe?
Bisherige Modelle gingen meist von einem tiefen Ursprung des solaren Magnetdynamos aus. Demnach sollen Strömungen am Grund der solaren Konvektionszone in rund 210.000 Kilometer Tiefe die Basis des Sonnenmagnetfelds bilden. „Aber diese globalen Konvektionsmodelle passen oft nicht zu wichtigen Sonnenbeobachtungen und erfordern Bedingungen, die nicht der solaren Realität entsprechen“, erklären Vasil und seine Kollegen. Auch in der Theorie könne dieses Modell viele Phänomene nicht schlüssig erklären.
Deshalb haben Vasil und sein Team einen anderen Bereich der Sonne ins Visier genommen: die Strömungen in der oberflächennahen Zone, die fünf bis zehn Prozent der Sonne ausmacht. „Wir haben uns gefragt: Gibt es dort Störungen oder winzige Veränderungen im Plasmafluss, die sich so weit verstärken können, dass sie das solare Magnetfeld erzeugen?“, sagt Koautor Keaton Burns vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dafür analysierten die Forscher helioseismologische Daten und erstellte astrophysikalische Simulationen.
Ursprung in oberflächennahen Schichten
Und tatsächlich: Die Wissenschaftler entdeckten einen Mechanismus, durch den oberflächennahe Plasmaströmungen in rund 32.000 Kilometer Tiefe komplexe Magnetfelder erzeugen können. Dabei modifizieren und verstärken die Scherkräfte der unterschiedlich schnell aneinander vorbeiströmenden Plasmamassen das einfache, bipolare Magnetfeld der Sonne und erzeugen die komplexeren, teils querlaufenden solaren Magnetfeldstrukturen samt ihren Oszillationen. Dies wiederum prägt das Auftreten der Sonnenflecken.
Dieses neue Modell könnte damit die lange gesuchte Verbindung zwischen dem tiefen Magnetdynamo mit seinem einfachen bipolaren Feld und den an der Sonnenoberfläche beobachteten komplexeren Strukturen und Prozessen bilden. „Wir zeigen damit, dass die isolierten Turbulenzen nahe der Sonnenoberfläche mit der Zeit heranwachsen und dann die Magnetstrukturen bilden können, die wir sehen“, sagt Burns.
Turbulenzen wie um ein Schwarzes Loch
Die Basis dieses neuentdeckten Oberflächen-Dynamos bildet ein Mechanismus, der auch im rasenden Plasma um Schwarze Löcher vorkommt. Bei dieser sogenannten magnetrotationalen Instabilität (MRI) erzeugen unterschiedlich schnell strömende Plasmabereiche in der Akkretionsscheibe ums Schwarze Loch einen Sog nach innen, verursachen aber gleichzeitig Turbulenzen, die Magnetfelder verstärken können. Genau dies könnte nach Angaben der Forscher auch in der oberen Schicht der Sonne geschehen.
„Ein solcher von der magnetrotationalen Instabilität getriebener Dynamo könnte auch Entstehung der manchmal auftretenden Großen Minima erklären“, schreiben Vasil und sein Team. In solchen Phasen wie dem Maunder-Minimum vor rund 400 Jahren ist die Sonne weniger aktiv als normal und auch ihr Magnetfeld durchlebt eine Schwächephase. Dem neuen Modell zufolge könnte solche Schwächephasen auftreten, weil der MRI-getrieben Verstärkungsprozess an der Oberfläche manchmal „stottert“ und aussetzt.
Bindeglied zwischen Beobachtungen und Modellen
Nach Ansicht von Vasil und seinen Kollegen liefert ihr neues Modell damit neue Einblicke in die komplexe Physik unseres Sterns. „Den Ursprung des solaren Magnetfelds zu verstehen ist seit der Zeit von Galileo Galilei eine offene Frage“, sagt Koautor Daniel Lecoanet von der Northwestern University in Illinois. „Unsere Arbeit schlägt nun eine neue Hypothese für die Entstehung des solaren Magnetfelds vor, die besser mit den Sonnenbeobachtungen übereinstimmt.“
Noch ist das Modell der Forscher sehr vereinfacht und kann nur die grundlegenden Vorgänge abbilden. Dennoch sehen sie darin einen ersten Schritt, um einige der noch immer unzureichend erklärten Vorgänge auf unserem Heimatstern zu entschlüsseln.
Ähnlich sieht es auch die nicht an der Studie beteiligte Astrophysikerin Ellen Zweibel von der University of Wisconsin. „Die Ergebnisse von Vasil und seinen Kollegen sind spannend. Sie könnten durchaus das interpretative Gerüst für detailliertere Modelle liefern und werden künftige Studien sicherlich inspirieren“, schreibt sie in einem begleitenden Kommentar in „Nature“. Dies könnte auch dabei helfen, starke Sonnenstürme künftig besser vorherzusagen als bisher. (Nature, 2024, doi: 10.1038/s41586-024-07315-1)
Quelle: Massachusetts Institute of Technology, Northwestern University