Prägende Wassermassen: Katastrophale Sturzfluten könnten die Mars-Landschaft stärker geprägt haben als gedacht. Immerhin knapp ein Viertel der gesamten Erosion in marsianischen Flusstälern könnte auf solche Ereignisse zurückgehen, wie Forscher ermittelt haben. Sie identifizierten mindestens 262 Krater, bei denen Dammbrüche abrupt große Wassermassen freigesetzt und tief eingekerbte Flussbetten hinterlassen haben. Diese Sturzfluten waren demnach auf dem Mars ein global wichtiger Akteur der Formbildung.
Auf dem Mars zeugen trockene Flussnetzwerke und Schluchten davon, dass es dort einst Wasser gegeben haben könnte. Wie viel, ist allerdings strittig: Während einige Planetenforscher Seen, Flüsse und sogar Ozeane für möglich halten, gehen andere allenfalls von episodischen Regenfällen und nur vorübergehend durchströmten Flüssen aus – ähnlich wie heute in manchen irdischen Wüsten und Halbwüsten. Alternativ könnte auch das subglaziale Schmelzwasser großer Gletscher einige marsianische Flusstäler geformt haben.
Wenn der Kraterrand bricht
Ein etwas anderes Bild zeichnen nun Timothy Goudge von der University of Texas in Austin und seine Kollegen. Denn sie haben Indizien dafür gefunden, dass Sturzfluten durch auslaufende Kraterseen auf dem frühen Mars eine weit prägendere Rolle spielten als lange angenommen. Bei solchen Ereignissen staut sich zunächst Wasser in einem Krater auf, bis der Druck zu groß wird und der Kraterrand an einer Stelle bricht.
Die Folge ist eine Sturzflut, bei der enorme Wassermassen in kurzer Zeit und mit großer Wucht zu Tal stürzen. „Ein solcher mit Wasser gefüllter Krater setzt eine Menge gespeicherter Energie frei“, sagt Goudge. Die Sturzfluten aus solchen Kraterseen können in kurzer Zeit tiefe Schluchten in den Untergrund graben. Tatsächlich gibt es bei einigen Mars-Canyons schon länger den Verdacht, dass sie durch auslaufende Seen entstanden sein könnten.
262 Krater mit Auslauf-Schluchten
Aber wie häufig waren solche Sturzfluten auf dem Mars? Und wie hoch war ihr Anteil an der Bildung der heute noch sichtbaren Flusstäler? Um das herauszufinden, haben Goudge und seine Kollegen erstmals eine Bestandsaufnahme ausgelaufener Seen auf dem Mars durchgeführt. In Aufnahmen verschiedener Marssonden suchten sie dafür nach Flusstälern, die am Rand eines Kraters beginnen und nicht mit anderen Flusstälern in Verbindung stehen.
Bei 262 Kratern wurden die Forscher fündig. Bei diesen gab es klare Indizien dafür, dass sie der Ursprung eines Flusstals oder einer Schlucht waren und dass es einen Bruch im Kraterrand mit folgender Sturzflut gegeben haben könnte. Anhand der Tiefe der ausgekerbten Flussbetten und der Größe der Krater errechneten die Wissenschaftler dann, wie stark diese Sturzfluten den Marsuntergrund erodiert haben müssen.
Für ein Viertel der Flusserosion verantwortlich
Das erstaunliche Ergebnis: Allein die bisher erfassten Sturzfluten könnten 14 Billionen Kubikmeter Sediment erodiert und weggeschwemmt haben. „Die auslaufenden Paläoseen waren demnach für fast ein Viertel – rund 24 Prozent – des insgesamt in Flusstälern erodierten Materials verantwortlich“, berichten Goudge und seine Kollegen. Die größeren dieser urzeitlichen Sturzfluten könnten innerhalb weniger Wochen so viel Sediment weggeschwemmt haben, dass es den größten und kleinsten See der Großen Seen in Nordamerika komplett füllen würde.
Zu den durch solche Mega-Sturzfluten erschaffenen Tälern gehört auch das riesige Ma’adim Vallis, eine rund 700 Kilometer lange und zwei Kilometer tiefe Schlucht, die vom Gusev-Krater ausgeht. „Allein dieser Canyon trägt mit rund 15 Prozent zum insgesamt erodierten Talvolumen bei“, schreibt das Team.
„Global wichtiger Prozess“
Nach Ansicht der Forscher legen diese Zahlen nahe, dass Sturzfluten durch auslaufende Kraterseen auf dem frühen Mars keine Einzelfälle waren, sondern eine größere Rolle spielten als bislang angenommen. „Wenn wir bedenken, wie viel Sediment dadurch in der Marslandschaft bewegt wurde, waren solche See-Sturzfluten ein global wichtiger Prozess“, sagt Goudge.
Aus vergleichenden Untersuchungen der Flussbetttiefen schließen er und seine Kollegen zudem, dass die Sturzfluten nicht nur ihre eigenen Ausflüsse prägten, sondern auch den Lauf angrenzender Flussnetzwerke verändert haben könnten. Wenn sie bestehende Betten normaler Flüsse durchschnitten, beeinflussten sie deren Lauf, weil sie oft tiefer eingekerbt waren. „Belege für dieses Szenario kann man in Paläosee-Ausflüssen sehen, bei denen Nebentäler oft über dem Grund des Canyons hängen oder prominente Knicks aufweisen“, erklärt das Team. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03860-1)
Quelle: University of Texas at Austin