Raumfahrt

Maulfaule Marskolonie

Missionen zu Mond oder Mars verändern die Kommunikation der Astronauten mit der Erde

lunare Raumstation
Das Leben auf einer lunaren Raumstation oder in einer Marskolonie verändert auch die Kommunikation der Astronauten mit der Erde. © NASA

Wachsende Entfremdung: Der Kontakt zu künftigen Astronauten auf dem Mond oder Mars könnte mit zunehmender Missionsdauer schwieriger werden, wie Crew-Isolations-Experimente nahelegen. Demnach werden die Astronauten gegenüber der Bodenstation immer „maulfauler“ und der Kontakt spärlicher und weniger offen. Dafür wachsen die Crew-Mitglieder mit der Zeit enger zusammen und ihre Psychologie und Kommunikation gleichen sich an. Das spreche für eine zunehmende Eigenständigkeit und Unabhängigkeit künftiger Kolonisten, so die Forscher.

Ob lunare Raumstation, Mondbasis oder eine Langzeitmission zum Mars: Nachdem die bemannte Raumfahrt sich jahrzehntelang auf den Erdorbit beschränkte, soll es in naher Zukunft weiter hinaus gehen. Das aber bedeutet auch, dass Astronauten künftig weit isolierter als in der Erdumlaufbahn unterwegs sein werden: Die größeren Entfernungen sorgen für Zeitverzögerungen bei der Kommunikation, erschweren Hilfe und Nachschublieferungen und erfordern daher eine weit größere Eigenständigkeit der Crews.

Mars-500-Teststation
Blick auf die „Raumstation“ im Moskauer Testzentrum und Schema ihrer Struktur. © IBMP

Wie sich eine Langzeitmission zum Mond oder Mars auf die Psyche und das Sozialleben von Astronauten auswirkt, untersuchen Wissenschaftler schon seit längerem mithilfe von Isolations-Experimenten. In diesen leben und arbeiten Testpersonen über Wochen oder Monate hinweg als „Astronauten“ in Nachbauten künftiger Raumkapseln oder Raumstationen – völlig abgetrennt von der Umgebung. Der Kontakt zur Außenwelt beschränkt sich auf den größtenteils zeitverzögerten Funkverkehr mit der „Bodenstation“.

Mars-500: Entfremdung von der Außenwelt

Erste Folgen dieser Isolation zeigten sich bereits beim Mars-500-Experiment in Moskau. Bei diesem hatten sechs Teilnehmer 520 Tage lang eine Marsmission simuliert – inklusive einer Landung, Andockmanövern und der bis zu 20 Minuten langen Verzögerung der Kommunikation mit der Außenwelt. Im Verlauf der Mission führte dies dazu, dass die Besatzung immer seltener mit der Bodenstation sprach und der Informationsgehalt der Kommunikation stark nachließ.

„Beide Seiten wurden immer unzufriedener mit diesen Kontakten“, erklären Natalia Supolkina vom Institut für biomedizinische Forschung in Moskau und ihre Kollegen. Dies führte dazu, dass die Crew Entscheidungen zunehmend ohne Rücksprache mit der Bodenstation traf und auch Probleme und Nöte weitgehend für sich behielt. „Wir sehen darin die Manifestation einer Entfremdung zwischen Crew und Bodenstation“, so die Forschenden.

Gilt dies auch für gemischte Crews?

Ob dieser Entfremdungs-Effekt spezifisch nur für diese Besatzung war oder ob dies ein allgemeines Phänomen bei Langzeitmissionen sein könnte, haben Supolkina und ihr Team nun anhand zweier weiterer Isolationsexperimente untersucht. SIRIUS-17 und SIRIUS-19 nutzten das gleiche „Raumschiff“ wie Mars-500, dauerten aber nur 17 beziehungsweise 120 Tage. Die Crews bestanden zudem aus Männern und Frauen und aus Angehörigen verschiedener Nationen. Wie bei einer realen Mondmission wurde der Funkverkehr nach kurzer Anfangsphase um rund fünf Minuten verzögert.

Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler die Aufzeichnungen des Funkverkehrs aus und analysierten sowohl die inhaltlichen wie die akustischen Merkmale der Kommunikation. Um Aufschluss über den psychologischen Zustand und die sozialen Interaktionen der Crew zu erhalten, untersuchten sie auch die Mimik und Verhalten mithilfe von Videoaufnahmen aus dem Innenraum der „Station“.

SIRIUS-19
Die Besatzung der SIRIUS-19-Mission vor dem Start des Experiments. © DLR /CC-by-sa 3.0

Abkopplung von irdischen Kontakten

Das Ergebnis: Wie bei Mars-500 gab es klare Anzeichen für eine kommunikative Abkopplung der Crew von der Außenwelt. Zum einen nahm die Häufigkeit und Dauer der Funkkontakte drastisch ab: In der ersten Missionswoche waren es noch 320 Audioanrufe mit einer Gesamtdauer von elf Stunden. In der letzten Woche der Mission hatte sich dies auf 34 Anrufe von nur gut einer Stunde Gesamtdauer reduziert.

Auch der Inhalt der Kommunikation mit der Bodenstation änderte sich. „Die Crew teilte im Laufe der Zeit immer weniger ihrer Probleme und Nöte mit der Erde“, berichten Supolkina und ihr Team. Der Informationsgehalt der Kommunikation nahm ab. Nach Ansicht der Forschenden spricht dies dafür, dass die Besatzung eine psychologische Autonomisierung durchlebt – sie verlässt sich weniger auf Hilfe und Rat von der Bodenstation und agiert eigenständiger.

Angleichung innerhalb der Crew

Parallel zu der zunehmenden Entkopplung von der Außenwelt wuchs die Besatzung intern enger zusammen. „Es gab im Missionsverlauf eine Annäherung in den Kommunikations-Stilen der SIRIUS-Crewmitglieder und eine Zunahme im Zusammenhalt“, berichtet Koautor Dmitry Shved von der Nationalen Forschungsuniversität in Moskau. „Das passierte, obwohl die Besatzung in Bezug auf Geschlecht und kulturellen Hintergrund divers war und es deutliche individuelle Unterschiede gab.“

Im Zuge der Mission glichen sich sogar Mimik und akustische Sprachmuster der Crewmitglieder an und auch die anfangs deutlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern verringerten sich. Das Forschungsteam sieht darin ein eher vielversprechendes Vorzeichen für künftige Raumfahrtmissionen: „Der wachsende Zusammenhalt könnte den Besatzungen helfen, besser mit den verschiedenen Probleme im Zuge der Mission klarzukommen“, sagt Shved.

SIRIUS-21 hat begonnen

Dennoch halten es die Wissenschaftler für wichtig, diese Effekte und vor allem die kommunikative Abkopplung der Besatzungen von der Erde bei der Planung künftiger Raummissionen zu berücksichtigen. Sie hoffen zudem, in weiteren Isolationsexperimenten noch mehr darüber zu erfahren, wie eine Langzeitmission die Psyche und das Sozialverhalten von Astronauten verändert. Mehr dazu könnte unter anderem SIRIUS-21 liefern, das seit 4.November 2021 läuft. (Frontiers in Physiology, 2021; doi: 10.3389/fphys.2021.751170)

Quelle: Frontiers

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